Stochastische Unabhängigkeit

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Unabhängige Ereignisse

Wir wollen zwei Ereignisse A,B unabhängig nennen, wenn die bedingte Wahrscheinlichkeit P(B|A) nicht von A abhängt: P(B|A)=P(B). Wegen der lästigen Voraussetzung P(A)>0 und der fehlenden Symmetrie ziehen wir die folgende Definition vor.

Definition

Ist P Wahrscheinlichkeitsverteilung auf (Ω,𝒮) und A,BΩ, dann heißen A und B stochastisch unabhängig, falls gilt:

P(AB)=P(A)P(B)

Bemerkungen

  1. Ist P(A)=0 und B beliebig, dann sind A,B unabhängig (beachte, dass P(AB)P(A) ).
  2. Obige Gleichung ist im Fall P(A)>0 äquivalent mit P(B|A)=P(B).
  3. Aus A,B unabhängig folgt (A¯,B),(A,B¯),(A¯,B¯) unabhängig.

Definition

Erweiterung der vorangegangenen Definition auf n Ereignisse.
Sei P eine Wahrscheinlichkeitsverteiltung auf (Ω,𝒮) und seien A1,...,An𝒮. Dann heißen A1,...,An (stochastisch) unabhängig, falls für jede nichtleere Teilmenge J:={j1,...,jk}{1,...,n} gilt

P(Aj1...Ajk)=P(Aj1)...P(Ajk).

Bemerkung

Ein Begriff, der in der Stochastik keine Rolle spielt, ist der der paarweisen Unabhängigkeit der A1,...,An:

P(AiAj)=P(Ai)P(Aj),ij

Daraus folgt nicht notwendigerweise die Unabhängigkeit der A1,...,An.

Unabhängigkeitskriterium

Folgende Eigenschaft der A1,...An erweist sich als äquivalent zur Definition: Für jede echte, nichtleere Teilmenge {j1,...,jk}{1,...,n} mit P(Aj1...Ajk)>0 und für jedes i{1,...,n}{j1,...,jk} gilt P(Ai|Aj1...Ajk)=P(Ai).

Stochastische Unabhängigkeit (Satz)

Unabhängigkeitskriterium ist äquivalent zur stochastischen Unabhängigkeit der A1,...,An.

Beweis - Teil 1

Aus der Definition folgt im Fall P(Aj1...Ajk)>0 sofort

P(Ai|Aj1...Ajk)
=P(Aj1...AjkAi)P(Aj1...Ajk)=P(Ai).

Beweis - Teil 2

Gilt umgekehrt P(Ai|Aj1...Ajk)=P(Ai), so liefert unter der Voraussetzung

P(Aj1...Ajk1)=P(Ai)>0

die Produktformel

P(Aj1...Ajk)=P(Aj1)P(Aj2|Aj1)P(Ajk|Aj1...Ajk1)
=P(Aj1)...P(Ajk), d.h. die Definition.

Gilt P(Aj1...Ajk1)=P(Ai)>0 nicht, so zeigt man, dass beide Seiten der Defintion sind.

Beispiel

Weißer und schwarzer Würfel. Gegeben A,B{1,...,6}. Die Grundmenge Ω={1,...,6}2 enthält die Teilmenge A=A×{1,...,6} und B=B×{1,...,6}). Die Augenzahl des ersten Würfels liegt in A (B). P sei die Gleichverteilung auf Ω. Dann sind A,B unabhängige Ereignisse.

Produktexperimente, unabhängige Zufallsgrößen

Erweiterung des Begriffs "Unabhängigkeit" für Ereignisse auf

  • Zufallsexperimente (Wahrscheinlichkeitsräume)
  • Zufallsgrößen

Rückblick

Seien (Ω1,𝒮1,P1) und (Ω2,𝒮2,P2) Wahrscheinlichkeitsräume des "Würfels" und einer "Zahl beim Roulette", Ωi={1,...,6}, Pi Gleichverteilung auf Ωi, (i=1,2), (Ω,P) Wahrscheinlichkeitsraum "zweier Würfel", Ω={1,...,6}×{0,1,...,36}, P Gleichverteilung auf Ω. Zeigen Sie, dass

P(A1×A2)=P1(A1)P2(A2) mit P:𝒮[0,1] und 𝒮:=(Ω1×Ω2)

für alle A1Ω1, A2Ω2.

Dies gibt Anlass zur folgenden Definition.

Produkt der Wahrscheinlichkeitsräume (Definition)

Gegeben sind (diskrete) Wahrscheinlichkeitsräume (Ω1,𝒮1,P1) ... (Ωn,𝒮𝓃,Pn) . Der Wahrscheinlichkeitsraum (Ω,𝒮,P) mit Ω=Ω1×...×Ωn, P definiert auf 𝒮 mit

P(A1×...×An)=P1(A1)...Pn(An)

für alle A1𝒮1,...,An𝒮n heißt Produkt der Wahrscheinlichkeitsräume (Ωi,𝒮𝒾,Pi) , i=1,...,n. Dabei ist 𝒮 die kleinste Sigmaalgebra, die alle Mengen A1×...×An mit A1𝒮1, ... An𝒮n enthält.

Satz

Sind (Ω1,𝒮1,P1),...,(Ωn,𝒮n,Pn) Wahrscheinlichkeitsräume, dann existiert genau eine Wahrscheinlichkeitsverteilung P auf Ω=Ω1×...×Ωn, welche mit der Definition von 𝒮 die obige Definition erfüllt.


Beweis (1) Eindeutigkeit:

Jede diskrete Wahrscheinlichkeitsverteilung P auf (Ω,𝒮), welche die Definition erfüllt, besitzt ein und dieselbe Wahrscheinlichkeitsfunktion q(w),w=(w1,...,wn)Ω, nämlich

q(w)=P({w})=P({w1}×...×{wn})=P1({w1})...P({wn}).

Beweis (2.1) Existenz:

Man definiere die Abbildung q:Ω[0,1] gemäß der Eindeutigkeit, d.h. q(w)=P({w})=P1({w1})...P({wn}). q ist normiert (!), also eine Wahrscheinlichkeitsfunktion auf Ω, die eine Wahrscheinlichkeitsverteilung P auf Ω definiert. P erfüllt die Definition, denn

Beweis (2.2) Existenz:

P(A1×...×An)=w1A1,...,wnAnq((w1,...,wn))
=w1A1P1({w1})...wnAnP({wn})
=P1(A1)...Pn(An).

Produktverteilung (Definition)

Die Wahrscheinlichkeitsverteilung P auf Ω1×...×Ωn=Ω, welche die Definition erfüllt, heißt Produktverteiltung, genauer Produkt P=P1×...×Pn=i=1nPi, der P1,...,Pn.

Bemerkungen (1)

1. Die einzelnen Faktoren P1,...,Pn der Produktverteiltung P=i=1nPi (auch Randverteilungen genannt) lassen sich (wie folgt, aus P) zurückgewinnen:

Ist nämlich AiΩ, (i={1,...,n}), so setzt man A=Ω1×...×Ωi1×Ai×Ωi+1×...×Ωn und hat

P(A)=1...1P(Ai)...11=Pi(Ai)

Bemerkungen (2)

2. Spezialfall:
Ω1,...,Ωn endlich P=i=1nPi ist genau dann die Gleichverteilung auf Ω=Ω1×...×Ωn, wenn jedes Pi,(i=1,...,n) Gleichverteilung auf Ωi ist.

In der Tat:

P({w})=1|Ω1|...|Ωn| für alle w=(w1,...,wn)Ω

(Definition Produkt WKT-Räume) (obige Bemerkung 1)

Pi({wi})=1|Ω| für alle i=1,...,n,wiΩ

Bemerkungen (3)

3. Ist Ω1=...=Ωn,P1=...=Pn, so bildet Ω1n,i=1nPi ein Modell für die n-fache unabhängige Wiederholung eines Zufallsexperimentes Ω1,P1. (sogenannte "Produktexperimente")

4. Es gibt viele Möglichkeiten, eine Wahrscheinlichkeitsverteilung P auf Ω1×...×Ωn anders zu definieren, als durch i=1nPi, so dass immer noch die obige Bemerkung 1 erfüllt ist.

Beispiel (1)

Ω1=...=Ωn,P1=...=Pn; definiere Wahrscheinlichkeitsverteilung P auf Ω1n durch die Wahrscheinlichkeitsfunktion

P((w1,...,wn))={P1({w1}),w1=...=wn0,sonst.

P erfüllt nicht die Bemerkung 1, somit ist P keine Produktwahrscheinlichkeit. In der Tat, für w1 mit 0<P1({w1})<1 gilt für n Ergebnisse w1

P({w1}×...×{w1})
=P({(w1,...,w1)})=P1({w1})[P1({w1})]n.

Beispiel (2)

Der Wahrscheinlichkeitsraum (Ω1n,P), P wie oben beschrieben, steht für das Zufallsexperimen "n identische Wiederholungen", das extreme Gegenteil von "n unabhängige Wiederholungen".

Definition

Auf dem Wahrscheinlichkeitsraum (Ω,𝒮,P) seien die Zufallsgrößen X1,...,Xndefiniert, Xi:ΩΩ,i=1,...,n. X1,...,Xn heißen (stochastisch) unabhängig, falls

P(X11(B1)...Xn1(Bn))=P(X11(B1))...P(Xn1(Bn))

für alle BiΩi,i=1,...,n.

Bemerkungen

1. Für unabhängige X1,...,Xn sind die Ereignisse X11(B1),...,Xn1(Bn) unabhängig. In der Tat, ist J={j1,...,jk}{1,...,n} nicht leer, dann lautet die Definition mit Bj=Ω'j für jJ wegen Xj1(Ω'j)=Ω:

P(Xj11(Bj1)...Xjk1(Bjk))=P(Xj11(Bj1))...P(Xjk1(Bjk))

2. Die Definition lässt sich auch auf folgende Weisen schreiben:

  • P((X1,...,Xn)B1×...×Bn)=P(X1B1)...P(XnBn)
  • P(X1,...Xn)(B1×...×Bn)=PX1(B1)...PXn(Bn) jeweils für alle BiΩ'i,i=1,...,n.

Die letzte Gleichung führt unter Berücksichtigung der Definition der Produktverteilung zu folgendem Satz.

Satz

Die Zufallsgrößen X1,...,Xn,Xi:ΩΩ'i,i=1,...,n, sind genau dann unabhängig, falls

P(X1,...,Xn)=PX1×...×PXn.

(In Worten: Falls die gemeinsame Verteilung der X1,...,Xn gleich dem Produkt der Randverteilungen ist.)

Satz

Sind X1,...,Xn unabhängige Zufallsvariablen und ϕ1,...,ϕn,ϕi:,i=1,...,n, dann sind die Zufallsvariablen ϕ1X1,...,ϕnXn ebenfalls unabhängig.

Beweis

Wegen (ϕiXi)1(Bi)=Xi1(ϕ1(Bi)),Bi gilt

P((ϕ1X1)1(B1)...(ϕnXn)1(Bn))
=P(X11(ϕ11(B1))...Xn1(ϕn1(Bn)))
=P(X11(ϕ11(B1)))...P(Xn1(ϕn1(Bn)))
=P((ϕ1X1)1)...P((ϕnXn)1(Bn)).

Sind also die beiden Zufallsvariablen X,Y unabhängig, dann auch die Zufallsvariablen |X|,Y2 und auch die Zufallsvariablen eX,sin(Y), nicht aber die Zufallsvaraiblen X+Y,XY.

Siehe auch

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