Kurs:Gewöhnliche Differentialgleichungen/2.3 Lineare Systeme von gewöhnlichen Differentialgleichungen

Aus testwiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Lineare Systeme von gewöhnlichen Differentialgleichungen

Wir betrachten folgendes System von Differentialgleichungen.
Für eine gegebene stetige Matrixfunktion A:m×m, eine stetige Funktion der rechten Seite b:m und y0m finde die Lösung y:m der Anfangswertaufgabe y(t)=A(t)y(t)+b(t),y(t0)=y0.(2.11)

(In diesem Absatz bezeichnen wir mit y(t) die vektorwertige Funktion und ihre Komponenten mit yi, y(t)=(y1(t),,yn(t))T.)

Alle Lösungen y des inhomogenen Problems (2.11) findet man als Superposition (Summe) der Lösung yH der homogenen Anfangswertaufgabe y(t)=A(t)y(t),y(t0)=y0(2.12)


und einer speziellen Lösung y der inhomogenen Anfangswertaufgabe (2.11) mit homogenen Anfangsbedingungen y(t0)=0. D.h. jede Lösung kann geschrieben werden als y(t)=yH(t)+y(t).

Wir befassen uns erstmal mit dem homogenen System (2.12) und suchen die Lösung dieses Systems. Betrachten wir eine Abbildung 𝒜, die den Anfangsvektor y0 auf die Lösung y von (2.12) abbildet. Aus Beispiel 2.1 wissen wir, dass das lineare System (2.12) global eindeutig lösbar ist, falls die Matrixnorm von A beschränkt ist, was der Fall ist. Die Abbildung 𝒜:y0y ist also bijektiv (und linear) und damit hat der Lösungsraum auch die Dimension m. Das heißt aber auch, dass die Abbildung 𝒜 die m Basisvektoren ei=(0,,1i,,0),i=1,,m auf m linear unabhängige Vektoren abbildet. Diese bezeichnen wir jeweils mit Hilfe des Indexes i als yi. Wir haben also m unabhängige Lösungen von

(yi)(t)=A(t)yi(t),yi(t0)=ei, i=1,m.(2.13)


Definition 2.3 (Fundamentalmatrix). Die Fundamentalmatrix ist eine m×m-Matrix, deren Spalten die Lösungen yi von (2.13) bilden, Y(t)=(y1(t),,ym(t))=(y11(t),,y1m(t) ym1(t),,ymm(t)).


Mit Hilfe der Fundamentalmatrix kann man die Lösung des homogenen System mit allgemeinen Anfagsbedingungen (2.12) schreiben als yH(t)=Y(t)y0.(2.14) Die Fundamentalmatrix gegeben duch die Lösung von (2.13) erfüllt in t=t0 Y(t0)=𝐈. Man kann die Fundamentalmatrix auch mithilfe einer anderen Basis d.h. anderer Anfangsbedingung in (2.13) definieren, zum Beispiel nimmt man den Eigenraum einer konstanter Matrix, wie im nächsten Abschnitt beschieben. In diesem all ist Y(t0)𝐈, aber regulär. In diesem Fall lässt sich die Lösung des homogenen System mit allgemeinen Anfagsbedingungen (2.12) bestimmen als yH(t)=Y(t)Y(t0)1y0.(2.15)

Eine wichtige Eigenschaft der Fundamentalmatrix ist folgendes Lemma:


Lemma 2.3. Gilt detY(s)0 für ein s, dann ist detY(t)0 für alle t.


Beweis. Der Beweis wird durch Widerspruch durchgeführt. Ist detY(s)0 für ein s und existiert ein τ mit detY(τ)=0, dann gibt es einen Vektor αm, α0 mit Y(τ)α=0. Der Vektor Y(τ)α=(i=1mαiy1i(τ),,i=1mαiyni(τ))T ist eine Linearkombination der Lösungen des Systems y=A(t)y(t), also auch eine Lösung dieses Systems, die zur Zeit t=τ verschwindet. Das lineare System ist eindeutig lösbar, und damit ist die eindeutige Lösung, die zur Zeit t=τ verschwindet, die triviale Lösung y=𝟎. Dies führt zum Widerspruch zu detY(s)0, da dann die Lösung auch zur Zeit t=s verschwindet, Y(s)α=0 aber α0. ◻


Das obige Lemma garantiert für das homogene System (2.13), dass die zugehörige Fundamentalmatrix auch in t>t0 regulär bleibt (Y(t0)=𝐈).

Die spezielle Lösung des inhomogenen Systems (2.11) mit homogenen Startwerten y(t0)=𝟎 lautet y(t)=Y(t)t0tY1(s)b(s)ds.(2.16)

Dies kann man leicht nachrechen. Nach dem Ableiten der rechten Seite nach t erhält man (y)(t)=Y(t)t0tY1(s)b(s)ds+Y(t)Y1(t)b(t). Gleichzeitig gilt für das Integral t0tY1(s)b(s)ds=Y1(t)y(t), siehe (2.16), also insgesamt (y)(t)=Y(t)Y1(t)y(t)+b(t). Da die Fundamentalmatrix Y(t) aus den Lösungen von (2.13) besteht, gilt Y(t)=A(t)Y(t). Das Einsetzen in die rechte Seite der oberen Gleichung führt schließlich zu (y)(t)=A(t)y(t)+b(t), damit ist y aus (2.16) die Lösung von (2.11) mit y(t0)=𝟎.

Das Prinzip der Superposition mit den Formeln (2.14) bzw. (2.15) und (2.16) liefert uns schließlich die Lösungsformel für das inhomogene System (2.11), y(t)=Y(t)Y(t0)1y0+Y(t)t0tY1(s)b(s)ds.(2.17)

Um mit dieser Formel die Lösung y(t) bestimmen zu können, muss man die Fundamentalmatrix Y(t) ausrechnen und invertieren. Für allgemeine A(t) gibt es keine allgemeine explizite Darstellung der Fundamentalmatrix. Ist allerdings A eine konstante Matrix, kann man die Lösungen yi, und damit die Fundamentalmatrix Y(t) explizit bestimmen. Diesen Lösungsansatz beschreiben wir im nächstem Abschnitt.