Kurs:Gewöhnliche Differentialgleichungen/2.3.1 Lineare Systeme mit konstanten Koeffizienten

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2.3.1 Lineare Systeme mit konstanten Koeffizienten

Sei nun die Matrix A(t) in (2.11) konstant, A(t)Am×m. Das Prinzip der Superposition und die daraus folgende Formel (2.17) ist in diesem Spezialfall gültig und liefert die Lösung des inhomogenes Problems (2.11). Die der homogenen Gleichung y(t)=Ay(t) zugehörige Fundamentalmatrix besteht aus m unabhängigen vektorwertigen Funktionen yi,i=1,m, die den Lösungen von (yi(t))=Ayi(t)(2.18)

entsprechen. Jede andere Lösung dieser homogenen Differentiagleichung lässt sich als Kombination i=1mciyi(t),ci dieser Lösungen darstellen. Die Konstanten ci werden später durch die Anfangsbedingung bestimmt, denn es muss gelten y(t0)=i=1mciyi(t0).

Die Lösung von (2.18) bestimmen wir mithilfe von Eigewerten (EW) und Eigenvektoren (EV) der Matrix A. Für die Eigenwerte und Eigenvektoren von A gilt: Avi=λivi, i=1,m, wobei λi oder der i-te Eigenwert und vim oder  Cm der zugehörige Eigenvektor ist, vi𝟎. Nach dem Umformulieren der obigen Gleichung erhalten wir (AλiI)vi=0,i=1,m, woraus folgt, dass die Matrix (AλiI) singulär ist. Das ist äquivalent zu det(AλiI)=0. Die Determinante det(AλI) ist ein Polynom m-ten Grades in λ, das sogenannte charakteristischen Polynom ρ(λ). Also sind die Eigenwerte λi Nullstellen von ρ(λ)=det(AλI). Im Folgenden betrachten wir zunächst den Fall der einfachen Nullstellen von ρ(λ), λ1λ2λm.

Wir suchen nun nach der Lösung von (2.18). Besteht der Lösungsvektor yi(t)=f(t)vi aus dem (konstanten) Eigenvektor Anteil vi und dem skalaren Anteil f(t), dann entsteht auf der rechten Seite von (2.18) f(t)λivi, und der nicht-konstante, t abhängige, skalare Anteil f(t) von yi muss den Ausdruck eλit enthalten. So kommen wir zu einer Lösung yi(t)=eλitvi. (überzeugen Sie sich davon dass (yi(t))=Ayi(t).)

Schließlich definieren wir die Fundamentalmatrix für die homogene Dgl (2.18) im Fall einfacher Eigenwerte.


Defintion 2.4 (Fundamentalmatrix für die homogene Dgl (2.18) im Fall einfacher Eigenwerte

Seien die Eigenwerte der Matrix A einfach, λ1λ2λm. Die Fundamentalmatrix der homogenen Differentialgleichung (2.18) hat dann folgende Form Y(t)=((y1(t),,ym(t))=(eλ1tv1,eλ2tv2,,eλmtvm        ),(2.19)

wobei die λi,vi,i=1,,m die (einfachen) Eigenwerte und die zugehörigen Eigenvektoren von A sind.

Nun können wir die eindeutige Lösung des Anfangswertproblems bestimmen. Sei y(t) die Lösung von (2.18) mit y(t0)=y0. Dann ist y(t)=i=1mciyi(t), wobei yi(t) die Spalten der Fundamentalmatrix (2.19) sind und die Konstanten c1,cm als Lösung des folgenden linearen Systems bestimmt werden, Y(t0)c=(v1,v2,,vm  )(c1cm)=y0. Dieses lineare System entspricht genau der Bedingung y(t0)=i=1mciyi(t0)=y0, da yi(t0)=vi.


Beispiel 2.3. Finde die Lösung der Anfangswertaufgabe dritter Ordnung y+6y+11y+6y=0, y(0)=1, y(0)=y(0)=0. Nach dem Umformulieren dieser Gleichung in ein 3×3 System von Dgl für y(t)=(y1,y2,y3)T=(y,y,y)T erhalten wir (y(t))=(0100016116)y(t),y(0)=(100). Wir bestimmen die Eigenwerte und Eigenvektoren der Systemmatrix. Das charakteristische Polynom dieser Matrix ist ρ(λ)=det(λ100λ16116λ)=(6+λ)λ211λ6. Die Nullstellen von ρ(λ) sind λ1=1, λ2=2, λ3=3. Die entsprechende Eigenvektoren zu diesen Eigenwerten sind (nachrechnen!) v1=(111),v2=(124),v3=(139) (oder nicht-verschwindende vielfache vi𝟎 davon). Nun können wir die allgemeine Lösung unseres Systems mithilfe von (2.19) als eine beliebige Kombination der Spalten der Fundamentalmatrix Y(t) bestimmen, y(t)=Y(t)c=c1et(111)+c2e2t(124)+c3e3t(139). Die Lösung unserer ursprünglichen Differentialgleichung dritter Ordnung entspricht der ersten Komponente von y(t), also y(t)=c1et+c22t+c3e3t. Aus den Anfangsbedingungen y(0)=1, y(0)=y(0)=0 ergibt sich schließlich c1=3, c2=3,c3=1.
Die gesuchte Lösung ist y(t)=3et32t+e3t.

Wir betrachten nun den Fall, wenn die Matrix A in (2.18) mehrfache Eigenwerte besitzt. Sei λi ein k-facher Eigenwert von A, k>1. Also hat das charakteristische Polynom ρ(λ) (von Grad m) höchstens mk+1 verschiedene Nullstellen λ1λmk+1. Angenommen es gibt keine weiteren mehrfachen Nullstellen von ρ(λ). Dann erhalten wir für j=1,mk+1 durch Auflösen von (Aλj)v=0 nach v insgesamt mk+1 unabhängige Eigenvektoren. [1]. Die Fundamentalmatrix (2.19) kann nicht vollständig konstruiert werden.
Wie erzeugt man die restlichen k1 unabhängigen Spalten von Y(t)?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns die Vielfachheit eines Eigenwertes genauer anschauen. Man unterscheidet zwischen

  • algebraischer Vielfachheit (AVf) von λi: das ist die Vielfachheit der Nullstelle von ρ(λ), in unserem Fall ist es k.
  • geometrischer Vielfachheit (GVf) von λi: das ist die Dimension des Lösungsraumes von (Aλi)v=0, (die Dimension von Kern(Aλi)).

Fall 1: (GVf=AVf)
Die Situation ist einfach, wenn die geometrische Vielfachheit von λi der algebraischen Vielfachheit (k) entspricht. Dann erhalten wir alle notwendigen Eigenvektoren zu λi durch Lösen von (Aλi)v=0 nach v, denn die Lösungen v spannen einen k- dimensionalen Eigenraum zu λi auf.
Fall 2: (GVf<AVf)
Falls die geometrische Vielfachheit von λi kleiner als k ist, müssen wir mit weiteren Vektoren, so genannte verallgemeinerte Eigenvektoren, auffüllen. Sei (GVf)=<k. Dann erhalten wir zu λi erstmal wie im Fall 1 Eigenvektoren vi,vi+1,,vi+1 durch Lösen von (Aλi)v=0. Weitere verallgemeinerte Eigenvektoren (auch genannt Hauptvektoren der Stufe 2, 3 u.s.w.) erhält man durch Einsetzen der bereits bekannten Eigenvektoren (oder Hauptvektoren) in die rechte Seite und Auflösen nach v: (Aλi)vi+=vi+1(Aλi)vi++1=vi+(Aλi)vi+k1=vi+k2. Durch das Einsetzen der ersten Gleichung von oben in die Gleichung für den zuletzt erzeugten Eigenvektor (Aλi)vi+1=0 erhält man für den ersten Hauptvektor vi+, dass (Aλi)2vi+=0. Man nennt deswegen vi+ auch Hauptvektor der Stufe 2. (Die Eigenvektoren vi,,vi+1 werden auch Hauptvektoren der Stufe 1 genannt.) Durch sukzessives Einsetzen erhält man für den Hauptvektor vi++1 die Stufe 3, schließlich für den Hauptvektor vi+k1 die Stufe k+1.

Die Eigenvektoren vi,vi+1,,vi+1 zusammen mit den Hauptvektoren vi+,,vi+k1 spannen einen k- dimensionalen Eigenraum zu λi auf und werden benutzt, um die fehlenden k Spalten der Fundamentalmatrix, die zu dem k-fachen Eigenwert λi gehören, zu erzeugen.


Defintion 2.5 (Fundamentalmatrix für mehrfach Eigenwerte)

Sei λi ein k- facher Eigenwert der Matrix A. Der zu dem Eigenwert λi zugehörige Teil der Fundamentalmatrix (2.18) hat folgende Form (|eλitvi|eλit(vit+vi+1)||eλit(vitk1(k1)!+vi+1tk2(k2)!++vi+k2t+vi+k1)|) (2.20)

wobei die λi,vi,vi+k1 sind die Eigenvektoren und Hauptvektoren zu λi, deren Konstruktion oben im Fall 1 und 2 beschrieben ist.


Beispiel 2.4. Gegeben sei eine Matrix A6×6 mit dem charakteristischen Polynom ρ(λ)=det(AλI)=(λ2)3(λ3)3. Die Nullstellen sind λ1=2 (dreifach), λ2=3 (dreifach). Sei die geometrische Vielfachheit von λ2 dimKern(A2I)=2<3, und die von λ3 dimKern(A3I)=1<3. Bestimme die Fundamentalmatrix vom System (y(t))=Ay(t).
Eigenraum zu λ2=2:
Durch Lösen von (A2I)v=0 erhält man die Eigenvektoren v1,v2. Den dritten verallgemeinerten Eigenvektor (Hauptvektor der Stufe 2) erhält man durch Lösen von (A2I)v3=v2(A2I)2v3=0. Eigenraum zu λ3=3:
Durch Lösen von (A3I)v=0 erhält man den Eigenvektor v4. Die fehlenden verallgemeinerten Eigenvektoren v5,v6 (Hauptvektoren von Stufe 2 und 3) erhält man durch Lösen von (A3I)v5=v4(A3I)2v5=0,(A3I)v6=v5(A3I)3v6=0. Die Fundamentalmatrix ist nun gegeben durch (e2tv1|e2t(v1t+v2)|e2t(v1t22+v2t+v3)|e3tv4|e3t(v5t+v6)|e3t(v4t22+v5t+v6)).


Bemerkung 2.1 (Fall: komplexe Eigenwerte) Nach dem Fundamentalsatz der Algebra hat das Charakteristische Polynom für An×n mit Vielfachheit gezählt n Nullstellen, d.h. A hat n Eigenwerte.

Neben den oben behandelten reellen Nullstellen bzw. Eigenwerten kann es vorkommen, dass A komplexe Eigenwerte und komplexe Eigenvektoren hat. Also ist λ=σ+iτ und v=a+ib aufgeteilt in Realteil und Imaginärteil. Auch in dem Fall ist eλtv eine Lösung des Systems, die aber komplexwertig ist. Wie kommt man nun zu reellen Lösungen?

Komplexe Nullstellen reeller Polynome kommen immer paarweise komplex-konjugiert vor, daher ist mit λ=σ+iτ auch λ=σiτ eine Nullstelle und damit ein Eigenwert. Zugehörige Eigenvektoren sind dann auch komplex-konjugiert zueinander v=aib. Entsprechend ist dann auch eλtv eine Lösung.

Beachtet man nun die Euler-Identität e(σ+iτ)t=eσt[cos(τt)+isin(τt)], so lassen sich aus den zwei Lösungen mithilfe von Summe und Differenz die neuen, reellwertigen Lösungen eσt(cos(τt)asin(τt)b) und eσt(sin(τt)a+cos(τt)b) für die Differentialgleichung finden. Haben die komplexen Nullstellen selbst eine höhere Vielfachheit, so geht man dann analog zum reellen Fall vor und muss entsprechend mit t,t22, multiplizieren. Hier gehen wir auf diesen Fall nicht weiter ein.


  1. Die lineare Unabhängigkeit der Eigenvektoren hängt mit der Diagonalisierbarkeit der Matrix A zusammen: A ist diagonalisierbar existiert eine m×m nichtsinguläre Matrix V mit V1AV=diag(A). Man kann zeigen, dass symmetrische Matrizen diagonalisierbar sind und reele Eigenwerte besitzen.