Kurs:Gewöhnliche Differentialgleichungen/2.1 Iteration von Picard-Lindelöf

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2.1 Iteration von Picard-Lindelöf

Die Existenz einer Lösung von (1.6) wird anhand der sogenannten Volterra’schen Integralgleichung studiert. Diese erhält man, indem die Anfangswertaufgabe (1.6) bezüglich t integriert wird, y(t)=y(t0)+t0tf(s,y(s))ds.(2.1)

Für eine stetige Funktion f ist die rechte Seite der Volterra’schen Integralgleichung stetig differenzierbar, damit ist auch die Lösung y(t) stetig differenzierbar, wie vorher vermerkt (falls diese existiert). Im Folgenden werden wir erst mal nur fordern, dass die Lösung y(t) eine stetige Funktion ist und diese im Raum C[a,b] (Raum aller stetigen Funktionen vom Intervall [a,b] nach ) suchen. Durch die stetige Differenzierbarkeit der rechten Seite von (2.1) gilt dann zusätzlich, dass yC1[a,b] (y ist stetig differenzierbar).

Da die Gleichung (2.1) möglicherweise nichtlinear in y ist (das hängt von der Funktion f ab), sucht man die Lösung y iterativ mithilfe folgender Iteration: yn+1(t)=y(t0)+t0tf(s,yn(s))ds, n=0,1,2,, y0(t)=y(t0)=y0 (beispielsweise).(2.2)

Dieses iterative Vorgehen heißt auch Picard-Lindelöf Iteration. Um die Konvergnez dieses Verfahrens zu untersuchen, schreiben wir (2.2) um, yn+1(t)=G(yn(t)),G(z(t)):=y(t0)+t0tf(s,z(s))ds, y0(t)=y0, (2.3)

wobei G eine Abbildung zwischen stetigen Funktionen auf [a,b]m darstellt, G:C[a,b]C[a,b]. Die Existenz einer Lösung von (2.1) ist equivalent zu der Existenz eines Fixpunktes der Abbildung G, z=G(z). Die Existenz eines Fixpunktes, wie auch die Konvergenz für (2.3), bzw. (2.2) beweisen wir mithilfe des Banach’schen Fixpunktsatzes.



2.1.1 Banach’scher Fixpunktsatz

Um den Banach’schen Fixpunktsatz zu formulieren frischen wir zuerst einigen Grundlagen aus der Funktionalanalysis auf.


Definition 2.1 (Banachraum)

Ein Banachraum (X,) ist ein linearer normierter Vektorraum (mit der Vektornorm ), der vollständig ist[1].


Definition 2.2 (Vektorraum)

Eine Vektornorm ist eine stetige Abbildung :V, (Vn ist ein Vektorraum) mit den Eigenschaften

  1. x>0 xV{0} (Positivheit)
  2. λx=|λ|xλ, xV (Homogenität)
  3. x+yx+y x,yV (Dreiecksungleichung oder Subaditivität).

Die Dreiecksungleichung lässt sich einfach (mit mathematischer Induktion bezüglich der Anzahl der Summanden) auf endliche Summe verallgemeinern, i=1nxii=1nxi.

Ein einfaches Beispiel eines Banachraumes ist der Vektorraum n ausgestattet mit einer der folgenden Vektornormen.

  • Euklidnorm x2:=(i=1nxi2)1/2
  • Betragsnorm x1:=i=1n|xi|
  • Maximumnorm x:=maxi=1,,n|xi|

Folgendes Lemma liefert eine Analogie zur verallgemeinerten Dreiecksungleichung der Norm.



Lemma 2.1

Sei yC[a,b] und n eine beliebige Norm auf n. Dann gilt aby(t)dtnaby(t)ndt.(2.4)




Beweis.

Sei {ti}i=0N, t0=a,tN=b eine Zerlegung des Intervalls [a,b]. Dann konvergiert die endliche Summe i=1Ny(ti)(titi1) gegen aby(t)dt für N. Da die Norm eine stetige Abbildung ist erhalten wir aby(t)dti=1Ny(ti)(titi1)nε2

für ausreichend großes N, und schließlich

aby(t)dtnε2+i=1Ny(ti)(titi1)n. (2.5)

ähnlich, aus der Konvergenz der endlichen Summe gegen das Integral erhalten wir |aby(t)ndti=1Ny(ti)n(titi1)|ε2,

und folgend |i=1Ny(ti)n(titi1)|ε2+|aby(t)ndt|. (2.6)


Nun folgt aus (2.5) mit Hilfe der verallgemeinerten Dreiecksungleichung und (2.6) dass aby(t)dtnε+|aby(t)ndt|,

und schließlich mit ε0 die Aussage des Lemmas. ◻


Ein weiteres Beispiel eines Banachraumes ist der Raum C[a,b] der stetigen Funktionen y:[a,b]n. Die Norm auf C[a,b] definieren wir als Maximumnorm: y(t):=maxt[a,b]y(t)n, wobei n eine beliebige Vektornorm in n ist, siehe oben.

Nun betrachten wir eine Abbildung F:XX, X ein Banachraum, und folgende Fixpunktgleichung: Finde ein xX mit x=F(x).

Eine Lösung dieser Gleichung kann man mit folgendem iterativen Ansatz finden. Sei x0 gegeben, xk+1=F(xk) für k=0,1,.

Die Konvergenz dieser Iteration und folgend die Lösbarkeit der Fixpunktgleichung garantiert folgender Satz.



Satz 2.1 (Banach’scher Fixpunktsatz)

Sei (X,) ein Banachraum und KX eine abgeschlossene Menge in X. Sei ferner F:XK eine Abbildung mit

  1. F(K)K, d.h. K ist in sich selbst abbildend,
  2. F ist kontrahierend, d.h. es existiert eine Konstante q(0,1) mit

F(x)F(y)qxy x,y,K.

Dann besitzt F genau einen Fixpunkt in K, die iterative Folge (2.7) konvergeirt gegen die Lösung x von x=F(x) und es gelten folgende Abschätzungen: xF(xk)q1qxkF(xk) (aposteriori Abschätzung)xF(xk)qk+11qx0x1 (apriori Abschätzung).




Beweis.

Der Beweis des Banach’schen Fixpunktsatzes ist zum Beispiel in M. Ružička: Nichlineare Funktionalanalysis, Satz 1.5, zu finden. ◻


Nun wird die Konvergenz der Piccard-Lindelöf Iteration (2.2) mithilfe des Banach’schen Fixpunktsatzes gezeigt und damit die Existenz einer einzigen Lösung der Volterra’schen Integralgleichung (2.1) bewiesen. Im Folgenden wird klar, dass die Voraussetzungen des Banach’schen Fixpunktsatzes nur in einer gewissen Umgebung vom Anfangswert (t0,y0) erfüllt sind und damit wird ”nur” die lokale Existenz und Eindeutigkeit der Lösung gezeigt. Für ein 0<δ<, 0<β definieren wir Sδ,β={(t,y); t0tt0+δ,y0βyy+β},

siehe Abbildung 2.1. Nun formulieren wir den Existenzsatz für die Anfangswertaufgabe (1.6).



Satz 2.2 (Lokale Existenz und Eindeutigkeit einer Lösung der Anfangswertaufgabe)

Vorausgesetz fC(Sδ,β) und es gilt zusätzlich

  1. f ist gleichmäßig Lipschitz stetig in Sδ,β bezüglich y, d.h. es existiert eine Konstante 0<L< sodass (t,y1),(t,y2)Sδ,β gilt |f(t,y1)f(t,y2)|L|y1y2|,
  2. für β< gelte zusätzlich δMβ, wobei M:=max(t,y)Sδ,β|f(t,y)|.

Dann existiert eine eindeutige Lösung yC1[t0,t0+δ] der Anfangswertaufgabe y=f(t,y) und die Iteration (2.2) konvergiert auf [t0,t0+δ] gleichmäßig gegen y sofern |y0(t)y0|β, y0=y(t0).



Beweis.

Wir bezeichnen Jδ:=[t0,t0+δ] und betrachten w:Jδ+ stetig. Im Raum der stetigen Funktionen auf Jδ definieren wir die Norm als eine gewichtete Norm z:=wz=maxtJδ|w(t)z(t)|.

Der Raum aller stetigen Funktionen auf Jδ, ausgestattet mit obiger gewichteter Maximumnorm, ist ein Banachraum (C(Jδ),).

Ferner definieren wir für β< die abgeschlossene Kugel Bt0,β:={zC(Jδ) mit |z(t)y0|β tJδ}

(Für β= definieren wir Bt0,β=C(Jδ)).

Als erstes beweisen wir dass die Abbildung G definiert in (2.3) die Kugel Bt0,β in sich selbst abbildet, also G(Bt0,β)Bt0,β. Wir wählen ein zBt0,β und untersuchen ob G(z(t)Bt0,β für alle tJδ. Mit (2.3) und (2.4) erhalten wir |G(z(t))y0|t0t|f(s,y(s))|dsδM.

Gilt δMβ für β<, so ist G(z(t))Bt0,β. Ist β=, ist δMβ ebenso erfüllt. Insgesamt folgt für alle 0<β, dass G(Bt0,β)Bt0,β.

Als nächstes zeigen wir, dass G eine kontrahierende Abbildung bezüglich der Maximumnorm ist. Mithilfe von (2.3) und der Lipschitz-Stetigkeit von f(t,y) bezüglich y erhalten wir G(y)G(v)=t0tf(s,y(s))f(s,v(s))dsLt0t|y(s)v(s)|ds.

Nun wenden wir die Definition der Norm an und erhalten von oben G(y)G(v)LmaxtJδ(w(t)t0t|y(s)v(s)|ds)=LmaxtJδ(w(t)t0t|y(s)v(s)|w(s)yv1w(s)ds)yvφ(w),

wobei φ(w):=LmaxtJδ(w(t)t0t1w(s)ds).

Mit geeigneter Wahl der Gewichtsfunktion w wird φ(w)<1 und damit die Abbildung G kontrahierend. Die einfachste Wahl von w(t)=1 führt zu φ(w)=LmaxtJδ(tt0)=Lδ. In diesem Fall ist die Abbildung G für δ<1L kontrahierend. Dies würde aber eine weitere Bedingung auf δ (außer ii)) bedeuten. Eine günstigere Wahl der Gewichtsfunktion ist w(t)=eL(tt0). In diesem Fall ist φ(w)=LmaxtJδeL(tt0)t0teL(st0)ds=maxtJδeL(tt0)[eL(tt0)1]=maxtJδ(1eL(tt0))1eδL,

und schließlich φ(w(t))<1 für alle tJδ. Damit ist die Abbildung G kontrahierend. Aus dem Banach’schen Fixpunktsatz folgt die Existenz und Eindeutigkeit der Lösung der Fixpunktgleichung z=G(z), bzw. der Volterra’schen Integralgleichung (2.1), wie auch die Konvergenz der Iteration (2.2). ◻


Bemerkungen

  1. Den obigen Beweis kann man ähnlich auch für das Intervall Jδ:=[t0δ,t0] durchführen, Somit erhalten wir mithilfe des Banach’schen Fixpunktsatz insgesamt die lokale Existenz und Eindeutigkeit auf [t0δ, t0+δ] mit δMβ, M:=max(t,y)Sδ,β|f(t,y)|.
  2. Ist β= (also ist f global Lipschitz stetig), so kann man auf die Bedingung δMβ (notwendig für die ”Abbildung in sich selbst” - Eigenschaft) verzichten. Man erhält dann die globale Existenz und Eindeutigkeit der Lösung der Anfangswertaufgabe (1.6) auf [a,b]×, für jedes (t0,y0)[a,b]×.
  3. Ist f lediglich nur stetig, erhält man mit dem Fixpunktsatz von Schauder [2] die Existenz einer Lösung, allerdings keine Eindeutigkeit, und keine Aussage über die Konvergenz der Iteration (2.2). Dieses Existenzergebnixs ist bekannt als der Satz von Peano.
  4. Der Beweis von Satz 2.2 lässt sich auf Systeme (1.7), m>1, leicht verallgemeinern, indem man die Beträge || durch eine Norm m in m ersetzt.
  5. Theoretisch kann man die Piccard-Lindelöf Iteration (2.2) zur Berechnung einer Annäherung der Lösung anwenden, indem man nach einigen Iterationen abbricht, siehe Beispiele 1.2, 1.3 (Kapitel 1). Die Integrale auf der rechten Seite kann man numerisch mittels Quadraturformeln ersetzen, dieser Ansatz heißt ”Finite Piccard Iteration”. Ansonsten sind diese Integrale exakt auszurechnen, was durchführbar aber weniger praktisch ist. Ziel dieser Vorlesung ist die Konstruktion solcher numerischer Verfahren, die an hinreichend vielen Stellen ti zwischen t0 und t0+T, i=1,,N die Näherungen ηiy(ti) ohne allzu großen Aufwand liefern.



Beispiel 2.1

Betrachte das lineare System von gewöhnlichen Differentialgleichungen y=A(t)y(t)+b(t),

wobei A:[a,b]m×m eine gegebene stetige matrixwertige und b:[a,b]m eine gegebene vektorwertige Funktion ist.

Wir überprüfen jetzt die Lipschitz-Stetigkeit der rechten Seite bezüglich der m-Norm. f(t,y1)f(t,y2)m=A(t)(y1y2)mA(t)y1y2m.

Die letzte Ungleichung basiert auf einer Eigenschaft der Matrixnorm A, der Verträglichkeit der Matrixnorm mit einer Vektornorm m: AymAym,

wobei die Matrixnorm durch eine Vektornorm als A:=maxxm=1Axm definiert (induziert) ist.

Nämlich, für xm mit xm=1, ist Axm=Ayymm=Aymymmaxx=y/ymAxm=defA.

Damit folgt die Verträglichkeit der Matrixnorm mit der Vektornorm AymAym.

Da die Norm A(t) auch eine stetige Abbildung ist, nimmt sie ihr Maximum auf [a,b] an. Dann ist L:=maxt[a,b]A(t) die Lipschitz-Konstante für die rechte Seite des linearen Systems und damit besitz dieses System nach Satz 2.2 eine eindeutige Lösung.



Beispiel 2.2

Löse y=|y|, y(0)=0.
Mit Trennug der Variablen erhält man die Lösung y(t)={t24für t>0t24für t0.

Weitere nichtriviale Lösungen sind beispielsweise für beliebiges a0: y(t)={t24für t>00at0(ta)24für t<a.

Beachte, dass die Funktion der rechten Seite f(t,y)=|y| in der Umgebung von (t0,y0)=(0,0) nicht Lipschitz stetig ist.


  1. Ein vollständiger normierter Raum X ist einer, in dem jede Cauchy-Folge von Elementen aus X gegen ein Element aus X konvergiert (in der Norm ).
  2. Den Fixpunktsatz von Schauder kann man zum Beispiel in M. Ružička, Nichtlineare Funktionalanalysis,(https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-662-62191-2 )Satz 2.46 finden. In den Voraussetzungen verzichtet man hier auf die kontrahierende Eigenschaft der Abbildung G (die aus der Lipschitz - Stetigkeit von f folgt).