Kurs:Funktionentheorie/Wirtinger-Kalkül

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Einleitung

Bei dem Wirtinger-Kalkül handelt es sich um einen mathematischen Kalkül aus der Funktionentheorie. Der Wirtinger-Kalkül ist nach dem Mathematiker Wilhelm Wirtinger benannt. Mit Hilfe dieser Objekte kann die Darstellung komplexer Ableitungen übersichtlicher gestaltet werden.

Wirtinger-Kalkül

Eine komplexe Zahl z wird durch z:=x+iy in zwei reelle Zahlen zerlegt. Für die folgende Funktion

f:G (x,y)f(x,y)

sei G2 ein Gebiet.

Zerlegung in Realteil- und Imaginärteilfunktion

Die Funktion f:G wird nun in die Realteil- und Imaginärteilfunktion f=u+iv:G zerlegt.

Definition Realteil- und Imaginärteilfunktion

Die Realteilfunktion

u:G (x,y)u(x,y)

und die Imaginärteilfunktion

v:G (x,y)v(x,y)

sind jeweils eine (reell) differenzierbare Funktion.

Existenz der partiellen Ableitungen

Die partiellen Ableitungen von f existieren und können als Linearkombination der partielle Ableitungen von u und v wie folgt geschrieben werden:

fx(x,y)=ux(x,y)+ivx(x,y)

und

fy(x,y)=uy(x,y)+ivy(x,y).

Berechnung der Wirtinger-Ableitungen

Im nächsten Abschnitt werden nun die Wirtinger-Ableitungen eingeführt, welche ebenfalls partielle Differentialoperatoren sind. Jedoch sind diesWikipedia Authorse einfacher zu berechnen, da die komplexwertige Funktion nicht in Real- und Imaginärteil zerlegt werden muss. Statt der Koordinaten x und y verwendet man z=x+iy und z¯=xiy.

Richtungsableitung

Sei G2 eine offene wegzusammenhängende Menge und f:G eine Funktion, die in einer Umgebung UG von zo. Dann versteht man unter der Richtungsableitung von f im Punkt zo=(xo,yo)2 in Richtung des Vektors v=(v1,v2)2 den Limes

fv(zo):=limh0f(zo+hv)f(zo)h

Bemerkungen - Partielle Ableitungen

  • Der Limes muss existieren.
  • Partielle Ableitung kann man as spezielle Ableitungen mit v=(1,0) bzw. v=(0,1) auffassen.
  • Bei einer total differenzierbaren Funktion f:G lässt sich die Richtungsableitung als Skalarprodukt v,Grad(f)(zo) aus v und dem Gradient von f an der Stelle zo.

Komplexe Konjugation und Richtungsableitungen

Aus den komplexen Zahlen z=x+iy und z¯=xiy auf 2 übertragen ist z=(x,y) und z=(x,y). Die partiellen Ableitungen fx(zo) und fy(zo) sind komplexwertig. Damit definiert man bei einer total differenzierbaren Funktion f die folgende Differentiale.

Cauchy-Riemann-Differentialgleichungen

Eine Funktion f ist in xo+iyo genau dann komplex differenzierbar, wenn sie reell differenzierbar ist und für u,v mit u:G, v:G mit G2 die Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen für zo=(xo,yo)2

ux(xo,yo)=vy(xo,yo)
uy(xo,yo)=vx(xo,yo)

erfüllt sind und fx(zo)=ux(zo)+ivx(zo) bzw. fy(zo)=uy(zo)+ivy(zo) gilt.

Richtungsableitungen und partielle Ableitungen

Definiert man mit CRG die so genannten Wirtinger-Ableitungen

fz(zo):=12(fx(zo)ify(zo))

und

fz(zo):=12(fx(zo)+ify(zo)),

so erhält man fz(zo)=0 ein Holomorphiekriterium.

Einsetzen der partielle Ableitungen

Durch das Einsetzen der Wirtinger-Ableitungen erhält man jeweils die partielle Ableitungen mit:

12(fz(zo)+fz(zo))=12((fx(zo)ifx(zo))+(fx(zo)+ify(zo)))=12(2fx(zo))=fx(zo)i2(fz(zo)fz(zo))=i2((fx(zo)ifx(zo))(fx(zo)+ify(zo)))=i2(2ify(zo))=fy(zo)

Darstellung partieller Ableitungen über Richtungsableitungen

Insgesamt erhält man mit z=x+iy in über x=12(z+z¯) und y=12i(zz¯)=i2(z¯z) die Darstellung von Realteil und Imaginärteil. Überträgt man die Gleichungen auf 2 so erhält man also mit G2 und f:G die partiellen Ableitungen

fx(zo)=12(fz(zo)+fz(zo))

und

fy(zo)=i2(fz(zo)fz(zo))

Motivation - Kurzdarstellung

Für die Differentiale erhält man daraus

dx=12(dz+dz¯) und dy=i2(dz¯dz).

Einsetzen in das totale Differential und Umsortieren liefert

df=12(fxify)dz+12(fx+ify)dz¯.

Formale Darstellung der Ableitung

Um (formal) die Beziehung df=fzdz+fz¯dz¯ zu erhalten, setzt man

fz:=12(fxify)

und

fz¯:=12(fx+ify).

Dies sind die Wirtinger-Ableitungen.

Kurzform der Notation

Für fz schreibt man auch kurz f, für fz¯ schreibt man ¯f. Der Operator heißt Cauchy-Riemann-Operator.

Totales Differential

Mit Hilfe der partiellen Ableitungen schreibt sich das (totale) Differential von f als

df=fxdx+fydy.

als Richtungsableitungen für v=(1,1) und v=(1,1) die Darstellung über die partiellen Ableitungen.

Holomorphe Funktionen

Der Wirtinger-Kalkül findet insbesondere in der Funktionentheorie Anwendung, da für holomorphe Funktionen die Notation sich auf ein Minimum reduziert. Außerdem ist dieser Kalkül sehr stabil, wie Eigenschaften 3 und 4 im nächsten Abschnitt zeigen.

Eine reell differenzierbare Funktion ist genau dann eine holomorphe Funktion, wenn f=0 gilt. In diesem Fall ist f die Ableitung von f. Dies gilt, da die Gleichung f=0 eine sehr kurze Darstellung der Cauchy-Riemannschen Differentialgleichungen ist. Aus diesem Grund trägt der Operator den Namen Cauchy-Riemann-Operator.

Gilt hingegen für eine reell differenzierbare Funktion f die Gleichung f=0 so nennt man diese Funktion antiholomorph und das reelle Differential kann mit Hilfe von Eigenschaft 1 aus f berechnet werden.

Eigenschaften

Beziehung zur partiellen Ableitung

Es gelten die Gleichungen

fx=f+f

und

fy=i(ff).

Linearität

Die Operatoren und sind -linear, das heißt für a,b und reell differenzierbare Funktionen f,g:G gilt

(af+bg)=af+bg

und

(af+bg)=af+bg.

Komplexe Konjugation

Für jede reell differenzierbare Funktion f gilt

f=f

und

 f=f.

Kettenregel

Für die Wirtinger-Ableitungen gilt die Kettenregel

(gf)z(z0)=gw(f(z0))fz(z0)+gw(f(z0))fz(z0)

und

(gf)z(z0)=gw(f(z0))fz(z0)+gw(f(z0))fz(z0).

Hauptsymbol

Das Hauptsymbol von ist ξ12(ξ1iξ2) und das Hauptsymbol von ist ξ12(ξ1+iξ2). Beide Differentialoperatoren sind also elliptisch.

Assoziierter Laplace- und Dirac-Operator

Mit den Wirtinger-Ableitungen kann man den Laplace-Operator durch

Δf=4f=4f

darstellen. Daraus folgt insbesondere, dass der Operator

D:=2(00)

ein Dirac-Operator ist.

Fundamentallösung

Die Fundamentallösung des Cauchy-Riemann-Operators z ist 1πz, das heißt die durch die Funktion u(z)=1πz erzeugte Distribution löst die Gleichung zu(z)=δ, wobei δ die Delta-Distribution ist. Eine Herleitung ist im Artikel Cauchy-Riemannsche partielle Differentialgleichungen zu finden.

Literatur

  • Ingo Lieb & Wolfgang Fischer: Funktionentheorie: Komplexe Analysis in einer Veränderlichen, Vieweg & Teubner, 2005, ISBN 978-3-8348-0013-8.
  • Ingo Lieb: The Cauchy-Riemann Complex, Vieweg Aspects of Mathematics, 2002, ISBN 978-3-528-06954-4.


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