Kurs:Analysis III/Kapitel I: Differentiation und Integration auf Mannigfaltigkeiten/§6 Kurvenintegrale

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Definition 1

Seien Ωn,n2 ein Gebiet und P,QΩ zwei Punkte. Dann definieren wir die Klasse 𝒞(Ω,P,Q) der stückweise stetig differenzierbaren Wege in Ω von P nach Q gemäß
𝒞(Ω,P,Q):={X(t):[a,b]ΩC0([a,b]):<a<b<+,
X(a)=P,X(b)=Q; es gibt eine Zerlegung a=t0<t1<<tN=b, so dass
X|[ti,ti+1]C1([ti,ti+1],Ω) fu¨r i=0,,N1 gilt}.
Mit
𝒞(Ω):=PΩ𝒞(Ω,P,P)
erhalten wir die Menge der geschlossenen Wege in Ω. Falls X(t)P,atb gilt, so sprechen wir von einer Punktkurve.

Definition 2

Seien
ω=i=1nfi(x)dxi,xΩ
eine stetige Pfaffsche Form in dem Gebiet Ω und X𝒞(Ω,P,Q) ein stückweise stetig differenzierbarer Weg zwischen den Punkten P,QΩ. Mit
X(j):=X|[tj,tj+1]C1([tj,tj+1]),j=0,,N1
setzen wir
Xω:=j=0N1X(j)ω=j=0N1tjtj+1i=1nfi(X(t))xi(t)dt
für das Wegintegral von Ω über X.

Definition 3

Sei
ω=i=1nfi(x)dxi,xΩ
eine stetige Pfaffsche Form im Gebiet Ωn. Wir nennen dann F(x)C1(Ω) eine Stammfunktion von ω, falls
dF=ω in Ω
bzw.
Fxi(x)=fi(x) für xΩ und i=1,,n
gilt. Falls ω eine Stammfunktionen besitzt, sprechen wir von einer exakten Pfaffschen Form.

Satz 1 (Erster Hauptsatz über Kurvenintegrale)

Seien Ωn ein Gebiet und ω eine stetige Pfaffsche Form in Ω. Genau dann besitzt ω eine Stammfunktion F in Ω, wenn für jede geschlossene Kurve X𝒞(Ω,P,P) mit einem PΩ die Identität
Xω=0
richtig ist. In diesem Fall erhalten wir eine Stammfunktion wie folgt: Für ein festes PΩ und ein beliebiges QΩ gilt
F(Q):=γ+Yω,Y𝒞(Ω,P,Q),
wobei γ eine Konstante ist.

Beweis

1. ω besitzt eine Stammfunktion F, das heißt

ω=i=1nfi(x)dxi=i=1nFxi(x)dxi,xΩ.

Seien nun X𝒞(Ω,P,P) mit PΩ sowie

X(j):=X|[tj,tj+1]C1([tj,tj+1]),j=0,,N1

gegeben. Dann folgt

Xω=j=0N1X(j)ω=j=0N1tjtj+1(i=1nFxi(X(t))xi(t)dt)
=j=0N1tjtj+1ddtF(X(t))dt=j=0N1{F(X(tj+1))F(X(tj))}
=F(X(tN))F(X(t0))=F(P)F(P)=0.

2. Nun sei

Xω=0 für alle X𝒞(Ω,P,P) mit PΩ

erfüllt. Zu festem PΩ und beliebigem QΩ wählen wir einen Weg

X𝒞(Ω,P,Q)

und erklären

F(Q):=Xω.

Wir haben die Unabhängigkeit dieser Definition von der Auswahl der Kurve X zu zeigen. Sei also

Y𝒞(Ω,P,Q)

eine weitere Kurve, so müssen wir

Xω=Yω

nachweisen. Zu X:[a,b]n und Y:[c,d]n betrachten wir die Kurve

Z(t):={X(t),t[a,b]Y(b+dt),t[b,b+dc].

Offensichtlich gilt Z𝒞(Ω,P,P) und es folgt

0=Zω=XωYω,

also

Xω=Yω.

3. Schließlich haben wir noch

Fxi(Q)=fi(Q),i=1,,n

zu zeigen. Hierzu gehen wir bei festem i{1,,n} von Q zu

Qε:=Q+εei,ei:=(0,,1i-te,,0)

auf dem Weg

Y(t):=[0,ε],Y(t)=Q+tei.

Nun ist

F(Qε)=F(Q)+F(Qε)F(Q)=F(Q)+Yω
=F(Q)+0εi=1nfi(Y(t))yi(t)dt
=F(Q)+0εfi(Q+tei)dt

und wir erhalten schließlich

ddxiF|Q=ddεF(Qε)|ε=0=fi(Q),i=1,,n,

weshalb die Behauptung folgt.

q.e.d.

Definition 4

Eine m-Form ωC1(Ω) in einem Gebiet Ωn heißt geschlossen, falls dω=0 in Ω gilt.

Definition 5

Sei Ωn ein Gebiet. Zwei geschlossene Kurven
X(t):[a,b]Ω,Y(t):[a,b]Ω,X,Y𝒞(Ω)
heißen homotop in Ω, falls es eine Abbildung
Z(t,s):[a,b]×[0,1]ΩC0([a,b]×[0,1],n)
mit den Eigenschaften
Z(a,s)=Z(b,s) für alle s[0,1]
sowie
Z(t,0)=X(t),Z(t,1)=Y(t) für alle t[a,b]
gibt.

Satz 2 (Zweiter Hauptsatz über Kurvenintegrale)

Sei Ωn ein Gebiet, in dem die beiden geschlossenen Kurven X,Y𝒞(Ω) zueinander homotop sind. Schließlich sei
ω=i=1nfi(x)dxi,xΩ
eine geschlossene Pfaffsche Form der Klasse C1(Ω). Dann gilt
Xω=Yω.

Beweis

1. Seien X,Y𝒞(Ω) zwei zueinander homotope, geschlossene Kurven. Dann gibt es eine stetige Funktion

Z(t,s):[a,b]×[0,1]ΩC0([a,b]×[0,1],n)

mit den Eigenschaften

Z(a,s)=Z(b,s) für alle s[0,1]

sowie

Z(t,0)=X(t),Z(t,1)=Y(t) für alle t[a,b].

Wir setzen Z auf das Rechteck [a,b]×[2,3] fort zu

Φ(t,s):={X(t),(t,s)[a,b]×[2,0]Z(t,s),(t,s)[a,b]×[0,1]Y(t),(t,s)[a,b]×[1,3].

Mittels

Φ(t+k(ba),s)=Φ(t,s) für t,s[2,3] und k

setzen wir die Funktion auf den Streifen ×[2,3] fort zu einer stetigen, in der ersten Variablen periodischen Funktion mit der Periode (ba).

2. In dem Quader Q:=[a,b]×[1,2] betrachten wir die Funktion

Φε(u,v):=++Φ(ξ,η)χu,ε(ξ)χv,ε(η)dξdη für alle 0<ε<1.

Nun ist ΦεC(Q) erfüllt und es gilt

Φε(u,v)Φ(u,v) für ε0 gleichmäßig in [a,b]×[1,2].

Somit folgt Φε(Q)Ω,0<ε<ε0. Weiter ist

Φε(u+k(ba),v)=Φε(u,v) für alle (u,v)×[1,2],k

erfüllt und für aub haben wir

Φε(u,1)=++Φ(ξ,η)χu,ε(ξ)χ1,ε(η)dξdη
=++X(ξ)χu,ε(ξ)χ1,ε(η)dξdη
=+X(ξ)χu,ε(ξ)dξ=Xε(u)

und ebenso

Φε(u,2)=Yε(u),aub.

3. Mit dem Stokesschen Integralsatz für den Quader Q erhalten wir für alle 0<ε<ε0

XεωYεω=QωΦε=Qd(ωΦε)=Q(dω)Φε=0.

Für ε0+ ergibt sich mit

0=limε0+(XεωYεω)=XωYω

die Behauptung.

q.e.d.

Definition 6

Seien das Gebiet Ωn sowie die Punkte P,QΩ gegeben. Zwei Kurven
X(t),Y(t):[a,b]Ω𝒞(Ω,P,Q)
heißen homotop in Ω mit festem Anfangspunkt P und Endpunkt Q, falls es eine stetige Abbildung
Z(t,s):[a,b]×[0,1]Ω
mit den folgenden Eigenschaften gibt:
Z(a,s)=P,Z(b,s)=Q für alle s[0,1]
sowie
Z(t,0)=X(t),Z(t,1)=Y(t) für alle t[a,b].

Definition 7

Ein Gebiet Ωn heißt einfach zusammenhängend, falls jede geschlossene Kurve X(t)𝒞(Ω) homotop zu einer Punktkurve in Ω ist, jede geschlossene Kurve sich also auf einen Punkt zusammenziehen lässt.

Satz 3 (Kurvenintegrale in einfach zusammenhängenden Gebieten)

Seien Ωn ein einfach zusammenhängendes Gebiet und
ω=i=1nfi(x)dxi,xΩ
eine Pfaffsche Form der Klasse C1(Ω). Dann sind folgende Aussagen äquivalent:
1. ω ist eine exakte Pfaffsche Form, besitzt also eine Stammfunktion F.
2. Für alle X𝒞(Ω,P,P) mit einem PΩ gilt
Xω=0.
3. ω ist eine geschlossene Pfaffsche Form, d. h. es gilt
dω=0 in Ω
bzw. die Matrix
(fixj(x))i,j=1,,n
ist symmetrisch für alle xΩ.

Beweis

Nach dem ersten Hauptsatz über Kurvenintegrale gilt die Äquivalenz „1.2.“. Die Aussage „1.3.“ ergeben die Überlegungen vor der Definition 4. Wir haben nur noch die Richtung „3.2.“ zu zeigen. Sei dazu

X(t)𝒞(Ω,P,P)

eine geschlossene Kurve, so ist diese Kurve X nach Voraussetzung an das Gebiet Ω homotop zu einer Punktkurve

Y(t)P,atb.

Anwendung von Satz 2 liefert uns schließlich

Xω=Yω=abi=1nfi(Y(t))yi(t)dt=0,

woraus der Satz folgt.

q.e.d.