Kurs:Analysis II/Kapitel VI: Gewöhnliche Differentialgleichungen/Elementar integrierbare Differentialgleichungen erster Ordnung (§3)

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Beispiel 1: Differentialgleichungen mit getrennten Variablen

Wir betrachten die Differentialgleichung

(1) A1(x)A2(y)dx+B1(x)B2(y)dy=0 mit A2(y)0 und B1(x)0

mit den stetigen Koeffizientenfunktionen A1(x),A2(y),B1(x),B2(y). Mit Hilfe des integrierenden Faktors

M(x,y):=1A2(y)B1(x)

erhalten wir die exakte Differentialgleichung

(2) A1(x)B1(x)dx+B2(y)A2(y)dy=0.

Die Stammfunktion erhalten wir dann durch Integration nämlich

(3) M(x,y):=A1(x)B1(x)dx+B2(y)A2(y)dy.

Die implizite Form der Lösung wird durch die Niveaulinien

F(x,y)=const

dargestellt.

Beispiel 2: Ähnlichkeitsdifferentialgleichungen

Wir betrachten Differentialgleichungen des Typs

(4) y(x)=f(y(x)x)

mit der stetigen Funktion f. Diese bringen wir in die Form

(5) dyf(yx)dx=0.

Wir verwenden die Substitution

u(x):=y(x)x,x>0

und erhalten die Differentialgleichung

(6) u(x)+xu(x)=y(x)=f(u(x))

bzw.

(7) (uf(u))dx+xdu=0.

Nun ist

M(x,u):=1x(uf(u))

ein integrierender Faktor und die Differentialgleichung

(8) dxx+duuf(u)=0

wird exakt. Letztere können wir gemäß Beispiel 1 lösen. Schließlich ist

(9) M(x,y):=1xf(yx)y

ein integrierender Faktor der ursprünglichen Differentialgleichung (5).

Definition 1

Eine Funktion f=f(x,y):2 heißt homogen vom Grade k, wenn für alle λ>0 und alle Punkte (x,y)2 die Beziehung
f(λx,λy)=λkf(x,y)
erfüllt ist.

Beispiel 3: Homogene Differentialgleichungen

Sei nun die Differentialgleichung

(10) P(x,y)dx+Q(x,y)dy=0 mit den vom gleichen Grade khomogenen Funktionen Q(x,y) und P(x,y)

gegeben. Falls Q0 und x>0 gilt, ist diese Differentialgleichung äquivalent zu

dydx=P(x,y)Q(x,y)=xkP(1,yx)xkQ(1,yx)=P(1,yx)Q(1,yx)=:f(yx)

bzw.

dyf(yx)dx=0.

Gemäß Beispiel 2 haben wir den integrierenden Faktor

M~(x,y)=1xf(yx)y=1xP(x,y)Q(x,y)y=Q(x,y)xP(x,y)+yQ(x,y)

für unsere Differentialgleichung

0=dyf(yx)dx=dy+P(x,y)Q(x,y)dx.

Folglich ist die Differentialgleichung

Q(x,y)xP(x,y)+yQ(x,y)dy+P(x,y)xP(x,y)+yQ(x,y)dx=0

exakt. Wir erhalten mit

(11) M(x,y)=1xP(x,y)+yQ(x,y)

einen integrierenden Faktor der homogenen Differentialgleichung (10).

Beispiel 4: Differentialgleichungen der Form y(x)=f(a1x+b1y+c1a2x+b2y+c2)

Dabei sind a1,b1,c1,a2,b2,c2 reelle Koeffizienten. Wir betrachten die folgenden beiden Möglichkeiten:

1. Fall:
(12) |a1b1a2b2|=a1b2a2b10.

Es existiert nun ein Punkt (ξ,η)2, der das eindeutig lösbare Gleichungssystem

(13) a1ξ+b1η+c1=0a2ξ+b2η+c2=0

löst. Aus (13) folgt mit den neuen Variablen u:=xξ,v:=yη das System

(14) a1u+b1v=a1x+b1y+c1a2u+b2v=a2x+b2y+c2.

Wir erhalten die Differentialgleichung

(15) dvdu=f(a1u+b1va2u+b2v)=f(a1+b1vua2+b2vu)=:g(vu),

welche sich gemäß Beispiel 2 lösen lässt.

2. Fall
(16) |a1b1a2b2|=a1b2a2b1=0.

Insofern b1=b2=0 erfüllt ist, erhalten wir die sofort integrierbare Differentialgleichung

y(x)=f(a1x+c1a2x+c2).

Sei anderenfalls o. B. d. A. b10 richtig und wir erhalten a2=a1b21b1. Dieses liefert die Identitäten

(17) a1x+b1y+c1=b1(a1b1x+y)+c1a2x+b2y+c2=b2(a1b1x+y)+c2.

Mit der Substitution ω=a1b1x+y erhalten wir die Differentialgleichung

(18) dωdx=a1b1+f(b1ω+c1b2ω+c2)=:g(ω).

Wir erhalten die Gleichung dx=dωg(ω), die wir gemäß x=dωg(ω) integrieren.

Beispiel 5: Lineare Differentialgleichungen erster Ordnung

Wir betrachten die Differentialgleichung

(19) y(x)+a(x)y(x)+b(x)=0 mit stetigen Koeffizienten a(x) und b(x).

Wir geben zwei Methoden zu ihrer Lösung an.

1. Methode: Integrierender Faktor

Wir schreiben die Differentialgleichung in die Form

(20) P(x,y)dx+Q(x,y)dy=0 mit P(x,y):=a(x)y+b(x) und Q(x,y):=1.

Mit dem integrierenden Faktor

M(x)=exp(ϕ(x))

wollen wir die Differentialgleichung (20) exakt machen. Somit erfüllt M die Bedingung

0=MxMQMyMP+(QxPy)=[logM]xQa(x)=ϕxa(x)

und wir erhalten

ϕ(x)=a(x)dx sowie M(x)=exp[a(x)dx].

Die Differentialgleichung

(21) [a(x)y+b(x)]exp[a(x)dx]dx+exp[a(x)dx]dy=0

ist dann exakt. Wir suchen nun eine Stammfunktion F(x,y), welche folgende Gleichungen erfüllt:

(22) Fx(x,y)=[a(x)y+b(x)]exp[a(x)dx] und Fy(x,y)=exp[a(x)dx].

Hier integrieren wir zunächst die zweite Gleichung und erhalten

F(x,y)=yexp[a(x)dx]+f(x)

mit der unbestimmten Funktion f(x). Mit Hilfe der ersten Gleichung in (22) ermitteln wir

f(x)=Fx(x,y)ya(x)exp[a(x)dx]=b(x)exp[a(x)dx]

und schließlich

f(x)={b(x)exp[a(x)dx]}dx.

Wir erhalten mit

(23) F(x,y)=yexp[a(x)dx]+{b(x)exp[a(x)dx]}dx

eine Stammfunktion der Differentialgleichung (21). Die Gesamtheit der Lösungen erhalten wir als Niveaulinien F(x,y)=c wie folgt

(24) y=cexp[a(x)dx]exp[a(x)dx]{b(x)exp[a(x)dx]}dx,

mit einer Konstante c. Dabei stellt der erste Summand auf der rechten Seite die allgemeine Lösung der homogenen Differentialgleichung

y(x)+a(x)y(x)=0

dar, während der zweite Summand eine partikuläre Lösung der inhomogenen Differentialgleichung

y(x)+a(x)y(x)+b(x)=0

angibt.

2. Methode: Variation der Konstanten

Wir betrachten zunächst die homogene Differentialgleichung

(25) y(x)+a(x)y(x)=0,

die wir in

[logy(x)]=y(x)y(x)=a(x)

umformen und gemäß

logy(x)=a(x)dx

integrieren. Wir erhalten die allgemeine Lösung der homogenen Differentialgleichung (25) wie oben in der Gestalt

(26) y(x)=cy0(x) mit y0(x):=exp[a(x)dx] und beliebigem c.

Zur Lösung der inhomogenen Gleichung

(27) y(x)+a(x)y(x)+b(x)=0

machen wir den Ansatz der Variation der Konstanten

y(x)=c(x)y0(x) mit der Funktion c=c(x).

Wir ermitteln

(28) 0=[c(x)y0(x)]+a(x)c(x)y0(x)+b(x)=c(x)y0(x)+c(x)y0(x)+a(x)c(x)y0(x)+b(x)=c(x)y0(x)+c(x)(y0(x)+a(x)y0(x))+b(x)=c(x)y0(x)+b(x)

bzw.

c(x)=b(x)exp[a(x)dx]

und schließlich

c(x)={b(x)exp[a(x)dx]}dx.

Mit

(29) y1(x)=exp[a(x)dx]{b(x)exp[a(x)dx]}dx

erhalten wir eine partikuläre Lösung der inhomogenen Differentialgleichung (27). Nun stellt

(y):=y(x)+a(x)y(x)

einen linearen Differentialoperator erster Ordnung dar, d. h.

(αy+βz)=α(y)+β(z) für alle y(x),z(x)C1(I) und α,β.

Die allgemeine Lösung der inhomogenen Gleichung (27) erhalten wir durch Superposition wie folgt

(30) y(x):=y1(x)+cy0(x) mit beliebigem c.

Satz 1 (Einfachverhältnis)

Sind zj(x) – mit j=1,2,3 – drei Lösungen der inhomogenen Differentialgleichung (27), so ist das Einfachverhältnis
z3(x)z1(x)z2(x)z1(x)=const,xI
in diesem Sinne konstant.

Beweis

Für die drei Lösungen gilt die Darstellung

zj(x)=y1(x)+cjy0(x) mit den Konstanten cj,j=1,2,3.

Somit folgt

z3(x)z1(x)z2(x)z1(x)=(c3c1)y0(c2c1)y0=c3c1c2c1=:const.

Beispiel 6: Die Bernoullische Differentialgleichung

Wir betrachten nun die Bernoullische Differentialgleichung

(31) y(x)+a(x)y(x)+b(x)y(x)n=0 mit dem Exponenten n.

Im Falle n=0 stellt dies eine inhomogene lineare Differentialgleichung dar, während wir im Falle n=1 eine homogene lineare Differentialgleichung erhalten. Ist nun n{0,1} erfüllt, so können wir die Differentialgleichung (31) mittels einer nichtlinearen Transformation auf eine lineare Differentialgleichung zurückführen. Hierzu multiplizieren wir (31) mit der Funktion y(x)n und erhalten

(32) y(x)ny(x)+a(x)y(x)1n+b(x)=0.

Wir verwenden nun die Substitution

z(x):=11ny(x)1n

und erhalten mit

(33) z(x)+(1n)a(x)z(x)+b(x)=0

eine lineare Differentialgleichung für z=z(x). Deren Lösung können wir gemäß Beispiel 5 ermitteln und führen schließlich eine Resubstitution durch.

Beispiel 7: Die Riccatische Differentialgleichung

Zum Abschluss dieses Paragraphen betrachten wir die folgende Differentialgleichung

(34) y(x)+a(x)y(x)2+b(x)y(x)+c(x)=0 mit stetigen a(x),b(x),c(x).

Diese Riccatische Differentialgleichung reduziert sich für a=0 auf eine lineare und für c=0 auf eine Bernoullische Differentialgleichung, welche über die Substitution

z(x)=1y(x)

wiederum auf eine lineare Differentialgleichung führt. Haben wir bereits eine partikuläre Lösung y0(x) der Riccatischen Differentialgleichung (34) gefunden, so ermitteln wir alle weiteren Lösungen mit dem folgenden Ansatz

y(x)=y0(x)+u(x).

Wir berechnen

(35) 0=y(x)+a(x)y(x)2+b(x)y(x)+c(x)=y0(x)+u(x)+a(x)y0(x)2+2a(x)u(x)y0(x)+a(x)u(x)2+b(x)y0(x)+b(x)u(x)+c(x)=u(x)+2a(x)u(x)y0(x)+a(x)u(x)2+b(x)u(x)=u(x)+[2a(x)y0(x)+b(x)]u(x)+a(x)u(x)2

Somit genügt u(x) einer Bernoullischen Differentialgleichung; die Riccatische Differentialgleichung (34) wird also lösbar, sofern wir bereits eine partikuläre y0(x) kennen.

Satz 2 (Doppelverhältnis)

Sind zj(x) – mit j=1,2,3,4 – vier paarweise verschiedene Lösungen der Riccatischen Differentialgleichung (34), so ist das Doppelverhältnis
z4(x)z2(x)z4(x)z1(x):z3(x)z2(x)z3(x)z1(x)=const,xI
in diesem Sinne konstant.

Beweis

Wir erhalten mit den Funktionen

1z4(x)z1(x),1z3(x)z1(x),1z2(x)z1(x)

drei paarweise verschiedene Lösungen der zugehörigen linearen Differentialgleichung. Satz 1 liefert die gesuchte Identität

(36) 1z4(x)z1(x)1z2(x)z1(x)1z3(x)z1(x)1z2(x)z1(x)=z2z4(z4z1)(z2z1):z2z3(z3z1)(z2z1) =z2(x)z4(x)z4(x)z1(x):z2(x)z3(x)z3(x)z1(x),xI.

q.e.d.