Kurs:Analysis II/Kapitel V: Das Riemannsche Integral im R^n/Flächeninhalt und Differentialformen

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§8 Flächeninhalt und Differentialformen

Definition 1

Sei die offene Menge Tm mit m als Parameterbereich gegeben. Weiter sei
X(t)=(x1(t1,,tm)xn(t1,,tm)):TnCk(T,n)
mit k,n und mn eine Abbildung, deren Funktionalmatrix
X(t)=(Xt1(t),,Xtm(t)),tT
für alle tT den Rang m hat. Dann nennen wir X eine parametrisierte, reguläre Fläche mit der Parameterdarstellung X(t):Tn.
Sind X:Tn und X~:T~n zwei Parameterdarstellungen, so nennen wir diese äquivalent, wenn es eine topologische Abbildung
t=t(s)=(t1(s1,,sm),,tm(s1,,sm)):T~TCk(T~,T)
gibt mit den folgenden Eigenschaften:
  1. J(s):=(t1,,tm)(s1,,sm)(s)=|t1s1(s)t1sm(s)tms1(s)tmsm(s)|>0 für alle sT~,
  2. X~(s)=X(t(s)) für alle sT~.
Man sagt, dass X~ aus X durch orientierungstreues Umparametrisieren entsteht. Die Äquivalenzklasse [X] aller zu X äquivalenten Parameterdarstellungen nennen wir offene, orientierte, m-dimensionale, reguläre Fläche der Klasse Ck im n. Wir nennen eine Fläche eingebettet in den n, falls zusätzlich X:Tn injektiv ist.

Seien X:Tn eine Fläche mit Tm als Parameterbereich und den Dimensionen 1mn. Mit

gij(t):=Xti(t)Xtj(t),tT für i,j=1,,m

bezeichnen wir den metrischen Tensor oder Maßtensor der Fläche X. Ferner heißt

g(t):=det(gij(t))i,j=1,,m,tT

ihre Gramsche Determinante. Ergänzen wir das System {Xti}i=1,,m für beliebiges tT durch Vektoren ξj(t) im n für j=1,,nm mit den Eigenschaften

(a) ξj(t)ξk(t)=δjk für j,k=1,,nm,
(b) Xti(t)ξj(t)=0 für i=1,,m und j=1,,nm,
(c) det(Xt1,,Xtm,ξ1,,ξnm)|t>0,

so können wir das Oberflächenelement folgendermaßen berechnen:

(1) dσ(t)=det(Xt1,,Xtm,ξ1,,ξnm)dt1dtm=det{(Xt1,,ξnm)*(Xt1,,ξnm)}dt1dtmdet(gij(t))i,j=1,,mdt1dtm=g(t)dt1dtm,tT.

Hilfssatz 1

Seien A,B zwei (n×m)-Matrizen mit mn. Für 1i1<<imn bezeichne Ai1im die Matrix, welche aus den Zeilen i1,,im der Matrix A besteht; entsprechend seien die Untermatrizen von B definiert. Dann gilt
det(A*B)1i1<<imndetAi1imdetBi1im.

Beweis

Wir fixieren A und zeigen, dass die Identität für alle Matrizen B gilt.

  1. Seien e1,,en die Spalteneinheitsvektoren des n, so gilt obige Formel zunächst für alle B=(ej1,,ejm) mit j1,,jm{1,,n}.
  2. Gilt obige Formel für die Matrix B=(b1,,bm), so gilt sie auch für die Matrix B=(b1,,λbi,,bm).
  3. Gilt die Formel für Matrizen B=(b1,,bi,,bm) und B=(b1,,bi,,bm), so auch für die Matrix B=(b1,,bi+bi,,bm).

Folgerung

Eine (n×m)-Matrix A erfüllt

det(A*A)=1i1<<imn(detAi1im)2.

Schreiben wir nun den metrischen Tensor in der Form

(gij(t))i,j=1,,m=X(t)*X(t)

mit der Jacobi-Matrix X(t)=(Xt1(t),,Xtm(t)), so folgt

(2) g(t)=det(gij(t))i,j=1,,m=1i1<<imn((xi1,,xim(t1,,tm)(t))2.

Also ergibt sich für das Oberflächenelement einer m-dimensionalen Fläche im n

(3) dσ(t)=g(t)dt1dtm=1i1<<imn((xi1,,xim(t1,,tm)(t))2dt1dtm.

Definition 2

Unter dem Flächeninhalt einer offenen, orientierten, m-dimensionalen, regulären C1-Fläche im n mit einer Parameterdarstellung X(T):Tn verstehen wir das uneigentliche Riemannsche Integral
A(X):=T1i1<<imn((xi1,,xim(t1,,tm)(t))2dt1dtm,
wobei Tm offen und 1mn erfüllt ist. Falls A(X)<+ ausfällt, hat die Fläche [X] endlichen Flächeninhalt.

Bemerkungen

  1. Mit Hilfe der Transformationsformel für mehrfache Integrale stellt man fest, dass der Wert des Flächeninhalts unabhängig von der Auswahl der Parameterdarstellung ist.
  2. Es treten häufig Integrale auf, die nur von der m-dimensionalen Fläche und nicht von ihrer Parameterdarstellung abhängen. Auf diese Weise werden wir zu Integralen über sogenannte Differentialformen geführt.

Definition 3

Auf der offenen Menge 𝒪n seien die Funktionen ai1imCk(𝒪),k0 mit i1,,im{1,,n} für 1mn gegeben. Wir erklären die Menge
:={X|X:Tn ist reguläre, orientierte, m-dimensionale Fläche mit
endlichem Flächeninhalt und X(T)𝒪}.
Unter einer Differentialform vom Grade m der Klasse Ck(𝒪), nämlich
ω:=i1,,im=1nai1im(x)dxi1dxim
oder kurz einer m-Form der Klasse Ck(𝒪) verstehen wir die Funktion
(4) ω: erklärt durch ω(X):=Ti1,,im=1nai1im(X(t))(xi1,,xim)(t1,,tm)dt1dtm,X.

Bemerkungen

1. Wir schreiben A𝒪, falls An kompakt und A𝒪 erfüllt ist.

2. Da die Koeffizientenfunktion ai1im(X(t)) beschränkt sind und die Fläche endlichen Flächeninhalt hat, konvergiert das auftretende Integral absolut.

3. Sind

ω=i1,,im=1nai1im(x)dxi1dxim

und

ω~=i1,,im=1na~i1im(x)dxi1dxim

zwei Differentialsymbole, so können wir unter diesen die Äquivalenzrelation

ωω~ω(X)=ω~(X) für alle X

erklären. Eine Differentialform kann somit als Äquivalenzklasse von Differentialsymbolen aufgefasst werden, wobei dann ein Repräsentant zu ihrer Kennzeichnung ausgewählt wird.

4. Sind X,X~ zwei äquivalente Darstellungen der Fläche [X], so gilt

ω(X~)=Ti1,,im=1nai1im(X~(s))(x~i1,,x~im)(s1,,sm)ds1dsm
=Ti1,,im=1nai1im(X(t(s)))(xi1,,xim)(t1,,tm)(t1,,tm)(s1,,sm)ds1dsm
=Ti1,,im=1nai1im(X(t))(xi1,,xim)(t1,,tm)dt1dtm=ω(X).

Somit stellt ω eine Abbildung dar, die auf den Äquivalenzklassen der orientierten Flächen [X] mit X erklärt ist.

5. Bei einer orientierungsumkehrenden Parametertransformation t=t(s) mit J(s)<0,sT~ ändert sich das Vorzeichen gemäß ω(X~)=ω(X).

Definition 4

Unter einer 0-Form der Klasse Ck(𝒪) verstehen wir eine Funktion f(x)Ck(𝒪) also ω=f(x),x𝒪. Zu 1mn nennen wir
βm:=dxi1dxim,1i1,,imn
eine Basis-m-Form.

Definition 5

Seien die m-Formen ω,ω1,ω2 der Klasse C0(𝒪) und der Skalar c gegeben. Dann erklären wir die Differentialformen cω und ω1+ω2 durch
(cω)(X):=cω(X) für alle X
bzw.
(ω1+ω2)(X):=ω1(X)+ω2(X) für alle X.

Die m-dimensionalen Differentialformen bilden einen Vektorraum mit dem Nullelement

o(X)=0 für alle X.

Definition 6

Seien die Differentialformen
ω1:=1i1,,ilnai1il(x)dxi1dxil
vom Grade l sowie
ω2:=1j1,,jmnbj1jm(x)dxj1dxjm
vom Grade m der Klasse Ck(𝒪) mit k0 gegeben. Dann erklären wir das äußere Produkt von ω1 und ω2 als die (l+m)-Form
ω=ω1ω2:=1i1,,il;j1,,jmnai1il(x)bj1jm(x)dxi1dxildxj1dxjm
der Klasse Ck(𝒪).

Bemerkungen

1. Für beliebige Differentialformen ω1,ω2,ω3 gilt das Assoziativgesetz

(ω1ω2)ω3=ω1(ω2ω3).

2. Seien ω1,ω2 zwei l-Formen und ω3 eine m-Form, so gilt das Distributivgesetz

(ω1+ω2)ω3=ω1ω3+ω2ω3.

3. Wegen des alternierenden Charakters der Determinante ergibt sich das Permutationsgesetz

dxi1dxil=sign(π)dxiπ(1)dxiπ(l).

Dabei bezeichnet π:{1,,l}{1,,l} eine Permutation mit dem Vorzeichen sign(π).

4. Stimmen zwei Indizes ij1 und ij2 überein, so folgt

dxi1dxil=0.

Daher verschwindet jede m-Form im n der Dimension m>n identisch.

5. Für eine l-Form ω1 und eine m-Form ω2 gilt die Vertauschungsregel

ω1ω2=(1)lmω2ω1.

Das äußere Produkt ist also nicht kommutativ.

6. Wir können jede m-Form in der folgenden Weise darstellen:

ω=1i1,,imnai1im(x)dxi1dxim.

Die Basis-m-Formen

dxi1dxim für 1i1<<imn

bilden eine Basis des Raumes der Differentialformen mit Koeffizientenfunktionen der Klasse Ck(𝒪) und k0

Definition 7

Sei eine stetige Differentialform
ω=1i1,,imnai1im(x)dxi1dxim,x𝒪
auf der offenen Menge 𝒪n mit 1mn erklärt. Dann definieren wir das uneigentliche Riemannsche Integral der Differentialform ω über die Fläche [X]𝒪 vermöge
[X]ω:=T1i1,,imnai1im(X(t))(xi1,,xim)(t1,,tm)dt1dtm,
falls ω absolut integrierbar über X im folgenden Sinne ist:
[X]|ω|:=T|1i1,,imnai1im(X(t))(xi1,,xim)(t1,,tm)|dt1dtm<+.

Bemerkung

Mit Hilfe der Transformationsformel zeigt man leicht, dass diese Integrale von der Auswahl des Repräsentanten der Fläche unabhängig sind. Wir können also

[X]|ω|=X|ω|,[X]ω=Xω

schreiben.

Definition 8

Für eine 0-Form f(x) der Klasse C1(𝒪) erklären wir ihre äußere Ableitung als das Differential
df(x)=i=1nfxi(x)dxi,x𝒪.
Bezeichnet
ω=1i1<<imnai1im(x)dxi1dxim
eine m-Form der Klasse C1(𝒪), so erklären wir ihre äußere Ableitung als die (m+1)-Form
dω:=1i1<<imn(dai1im(x))dxi1dxim.

Bemerkungen

1. Sind ω1 und ω2 zwei m-Formen im n und α1,α2, so gilt

d(α1ω1+alpha2ω2)=α1dω1+alpha2dω2.

Der Differentiator d stellt also einen linearen Operator dar.

2. Ist λ eine l-Form und ω eine m-Form der Klasse C1(𝒪), so folgt

d(ωλ)=(dω)λ+(1)mωdλ.

Wir wollen die letzte Behauptung beweisen: Offenbar reicht es aus, den folgenden Fall zu betrachten:

ω=f(x)βm,λ=g(x)βl.

Dabei sind βm und βl Basisformen der Ordnung m bzw. l. Nun erhalten wir

ωλ=f(x)g(x)βmβl

und somit

(6) d(ωλ)=d(f(x)g(x))βmβl=d(g(x)df(x)+f(x)dg(x))βmβl=(dω)λ+(1)mωdλ.

Wir betrachten nun die folgende (n1)-Form im n der Klasse C1(𝒪)

(7) ω=i=1nai(x)(1)i+1dx1dxi1dxi+1dxn,x𝒪n,

welche wir Gaußsche Differentialform nennen wollen. Ihre äußere Ableitung berechnet sich wie folgt:

dω=i=1n(1)i+1(dai(x))dx1dxi1dxi+1dxn
=i,j=1n(1)i+1aixj(x)dxjdx1dxi1dxi+1dxn
=i=1n(1)i+1aixi(x)dxidx1dxi1dxi+1dxn
=(i=1naixi(x))dx1dxn=(diva(x))dx1dxn.

Definition 9

Für ein Vektorfeld a(x)=(a1(x),,an(x))C1(𝒪,n) auf der offenen Menge 𝒪n erklären wir dessen Divergenz oder auch Quelldichte als
diva(x):=i=1naixi(x),x𝒪.

Wir können nun die n-Form

dω=(diva(x))dx1dxn

über einen n-dimensionalen Quader integrieren. Diese Differentialform kann man auch über große Klassen von nicht-eben berandeten Gebieten im n mit Hilfe des Gaußschen Integralsatzes integrieren, eines der wichtigsten Sätze der Vektoranalysis. Darum erlauben wir uns die Differentialform (7) auch als Gaußsche Differentialform zu bezeichnen.

Beispiel

Wir integrieren dω zunächst über den Halbwürfel

(8) H:={x=(x1,,xn)n|x1(r,0),xi(r,+r) fu¨r i=2,,n}

mit der oberen begrenzenden Seite

(9) S:={x=(0,x2,,xn)||xi|<r fu¨r i=2,,n}

für ein gegebenes r>0. Der äußere Normalenvektor an S ist

e1=(1,0,,0)n.

Wir fassen H und S als Flächen im n auf:

(10) H:X(t1,,tn)=(t1,,tn),(t1,,tn)H

bzw.

(11) S:Y(t~1,,t~n1)=(0,t~1,,t~n1),|t~i|<r für i=1,,n1.

Wir setzen nun von der Differentialform ωC01(HS) voraus, was sich auf die Qualität ihrer Koeffizienten bezieht. Dann erhalten wir

(12) Hdω=Xdω=r0r+rr+r(a1x1++anxn)dx1dxnr+rr+ra1(0,x2,,xn)dx2dxn=Sω.

Definition 10

In einer offenen Menge 𝒪n sei
ω=1i1<<imnai1im(x)dxi1dxim
eine stetige m-Form. Sei weiter Tl mit l eine offene Menge und die Abbildung
(13) x=(x1,,xn)=Φ(y)=(φ1(y1,,yl),,φn(y1,,yl)):T𝒪
der Klasse C1(T,n) sei gegeben. Mit
dφi=j=1lφiyj(y)dyj,i=1,,n
und
ωΦ=1i1<<imnai1im(Φ(y))dφi1dφim
erhalten wir die unter der Abbildung Φ transformierte m-Form ωΦ.

Bemerkungen

1. Sind ω1,ω2 zwei m-Formen und α1,α2, so folgt

(α1ω1+α2ω2)Φ=α1(ω1)Φ+α2(ω2)Φ.

2. Sind λ eine l-Form und ω eine m-Form, so gilt

(ωλ)Φ=ωΦλΦ.

Satz 1 (Zurückziehen der Differentialform)

Sei ω eine stetige m-Form in der offenen Menge 𝒪n. Weiter sei auf der offenen Menge Tm eine Fläche X durch die Parameterdarstellung
x=Φ(y):T𝒪C1(T)
mit Φ(T)𝒪 gegeben. Schließlich erklären wir die Fläche
Y(t)=(t1,,tm),tT
und beachten
X(t)=ΦY(t),tT.
Dann gilt die folgende Identität:
Xω=YωΦ.

Beweis

Wir berechnen

dφi1dφim=(j1=1mφi1yj1dyj1)(jm=1mφimyjmdyjm)
=(φi1,,φim)(y1,,ym)dy1dym

sowie

ωΦ=1i1<<imnai1im(Φ(y))(φi1,,φim)(y1,,ym)dy1dym.

Es folgt somit

YωΦ=T1i1<<imnai1im(X(t))(xi1,,xim)(t1,,tm)dt1dtm=Xω

und der Satz ist bewiesen.

q.e.d.

Satz 2

Sei ω eine m-Form in der offenen Menge 𝒪n der Regularitätsklasse C1(𝒪). Auf der offenen Menge Tl mit l sei die Abbildung
x=Φ(y):T𝒪C2(T)
gegeben. Dann gilt
d(ωΦ)=(dω)Φ.

Beweis

Zunächst gilt für eine beliebige Funktion Ψ(y)C2(𝒪) die Identität

d2Ψ=d(dΨ)=d(i=1nΨyidyi)=i,j=1nΨyiyjdyjdyi=0.

Wir beachten nun

ωΦ=1i1<<imnai1im(Φ(y))dφiidφim

und erhalten

dωΦ=1i1<<imndai1im(Φ(y))dφiidφim
=1i1<<imnj=1nk=1lai1imyj(Φ(y))φjykdykdφiidφim
=1i1<<imnj=1nai1imyj(Φ(y))φjdφiidφim,

also

dωΦ=(dω)Φ.

q.e.d.

Satz 3 (Kettenregel für Differentialformen)

Sei ω eine stetige m-Form in einer offenen Menge 𝒪n. Auf den offenen Mengen Tl und Tl mit l,l seien die C1-Funktionen Φ,Ψ gemäß
Ψ:TT,Φ:T𝒪 mit zΨyΦx
gegeben. Dann gilt
(ωΦ)Ψ=ωΦΨ.

Beweis

Wir berechnen

ωΦΨ=i1,,imai1im(ΦΨ(z))d(φi1Ψ)d(φimΨ)
=i1,,im;j1,,jm;k1,,kmai1im(ΦΨ(z))(φi1yj1ψj1zk1dzk1)(φimyjmψjmzkmdzkm)
=i1,,imj1,,jmai1im(ΦΨ(z))(φi1yj1dψj1)(φimyjmdψjm)
=(i1,,imai1im(Φ(y))dφi1dφim)y=Ψ(z),

also

ωΦΨ=(ωΦ)Ψ,

wobei über i1,,im{1,,n},j1,,jm{1,,l} und k1,,km{1,,l} summiert wird.

q.e.d.