Kurs:Lineare Algebra/Lineare Gleichungsysteme

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Gegenstand der linearen Algebra ist die Theorie von Vektorräumen, Matrizen und linearen Abbildungen. Die hier betrachteten Begriffe und entwickelten Methoden sind grundlegend für fast alle anderen Bereiche der Mathematik.

Motivation und Anwendungsbeispiele für lineare Gleichungssysteme

  • Scherzaufgabe zur Altersbestimmung;
  • Schnittmengen von Geraden und Ebenen im ’anschaulichen Punktraum’;
  • Bedingungsgleichung für die Koeffizienten eine Ebenengleichung dafür, dass diese mit einer vorgegebenen Ebene zusammenfällt;
  • ’glatte’ stückweise Interpolation einer Kurve durch kubische Parabelstücke;
  • Gitternetzwerk für eine Temperaturverteilung in einem starren Körper (Finite-Elemente-Methode, FEM);
  • verallgemeinerte Proportion und Bilanzmodell, hier: ein Ernährungsplan.

Der reelle Raum n

Ein wesentlicher Fortschritt für alle quantitativen geometrischen Untersuchungen war die Einführung des kartesischen Koordinatensystems durch R. Descartes im 17. Jahrhundert. Damit werden Punkte in geometrischen Räumen durch Zahlen(tupel) dargestellt. Dies ist Gegenstand der analytischen Geometrie.

Definition 1.1 (naiv)

Unter dem n-dimensionalen (reellen) Standardraum verstehen wir den n:={x=(x1,...,xn)|xi}, insbesondere bezeichnet 1 die Gerade, 2 die Ebene und 3 den ’Raum’.

Punkte des ’geometrischen Raumes’ können mittels eines fixierten Koordinatensystems mit n-Tupeln reeller Zahlen (genannt: Vektoren) identifiziert werden. Für n > 3 haben wir keine unmittelbare geometrische Anschauung. Die Betrachtung höherer Dimensionen macht für die Theorie keine Probleme und hat vielfältige konkrete Interpretationen. Neben dieser geometrischen Struktur trägt der n eine algebraische Struktur, die wir Vektorraum nennen werden und die durch zwei Verknüpfungsoperationen, die auf der Addition und Multiplikaton der reellen Zahlen basieren, gegeben ist. Die Untersuchung von Vektorräumen ist Gegenstand der linearen Algebra.

Definition 1.2 Operationen des n (als Vektorraum)

(a) Vektoraddition

+ : n×nn,(v,w)v+w:=(v1+w1,...,vn+wn).
Die Vektoraddition erfüllt die folgenden Regeln, wobei v,w,un:
(a1) Assoziativität:  u+(v+w)=(u+v)+w;
(a2) Existenz eines neutralen Elementes (Nullelement): 0:=(0,...,0),v:0+v=v;
(a3) Existenz eines Negativen: v,(v):=(v1,...,vn):(v)+v=0;
(a4) Kommutativität:  v+w=w+v.

(b) skalare Multiplikation

· : n×nn,(r,v)rv:=(rv1,...,rvn).
Die skalare Multiplikation erfüllt die folgenden Regeln, wobei r,s und v,wn:
(b1)  1v=v;
(b2)  (rs)v=r(sv);
(b3)  r(v+w)=rv+rw;
(b4)  (r+s)v=rv+sv.

Die reellen Zahlen können durch andere Zahlbereiche oder Mengen mit gleichen Verknüpfungsoperationen und Rechenregeln (genannt ’Körper’) ersetzt werden. Dies führt auf den Begriff des (abstrakten) Vektorraumes, genaue Definitionen sind in den folgenden Kapiteln zu finden.

Koeffizientenmatrix eines linearen Gleichungssystems

Definition 1.3 (lineares Gleichungssystem)

Ein System von m linearen Gleichungen in n Variablen X1,...,Xn mit Koeffizienten aij und bi aus ist von folgender Gestalt:
a11X1+...+a1nXn=b1
am1X1+...+amnXn=bm
Das Gleichungssystem heißt homogen, falls b1=b2=...=bm=0. Andernfalls ist es inhomogen.

Die Lösungen eines solchen Systems bilden eine Teilmenge der n. Schreibweise:

(A,b):={xn|j=1naijxj=bi,i=1,...,m}.

Wir suchen nach solchen Umformungen des Gleichungssystems, die die Lösungsmenge nicht ändern. Dazu genügt es, nur die Koeffizienten des Gleichungssystems zu betrachten.

Definition 1.4 (Matrix)

Die Koeffizienten eines linearen Gleichungssystems aus m Gleichungen mit n Variablen formen ein rechteckiges Zahlenschema vom Typ (m,n), genannt Matrix. Werden die Zahlen der rechten Seiten hinzugenommen, so erhalten wir die erweiterte Koeffizientenmatrix von Typ (m,n+1) eines linearen Gleichungssystems:
A=(a11a1nam1amn), (A,b)=(a11a1n|b1am1amn|bm)

Bezeichnung: Mat(m,n;)={A=(aij)|AeinereelleMatrixvomTyp(m,n)}. Die m Zeilen einer Matrix AMat(m,n;) sind Elemente aus n, die n Spalten gehören zu m.

Elementare Zeilenoperationen mit Matrizen

Wir suchen solche Umformungen eines linearen Gleichungssystems, die seine Lösungsmenge nicht verändern. Dies führt in Termen der Koeffizientenmatrix auf die folgenden Operationen:

Definition 1.5 (elementare Zeilenoperationen)

Zwei Gleichungssysteme heißen äquivalent, wenn sie die gleiche Lösungsmenge in n besitzen. Zulässige elementare Umformungen, die die Lösungsmenge nicht verändern, sind:
- Vertauschen zweier Gleichungen, Bezeichnung: (pik),
- Addition eines Vielfachen einer Gleichung zu einer anderen, Bezeichnung: (qik(λ)),
- Multiplikation einer Gleichung mit einer reellen Zahl λ0, Bezeichnung: (mi(λ)).
Die zulässigen elementaren Umformungen eines linearen Gleichungssystems induzieren die elementaren Zeilenoperationen auf den Zeilen z1,...,zm der Koeffizientenmatrix:
(z1zizkzm) .pik (z1zkzizm) ; (z1zkzizm) .qik(lambda) (z1zkzi+λzkzm) ; (z1zizm) .mi(lambda) (z1λzizm)

Durch schrittweise Elimination von Variablen mit Hilfe der elementaren Umformungen, so dass die erste Variable nur in der ersten Gleichung, die nächste nur in der zweiten Gleichung u.s.w. auftritt, erhalten wir ein äquivalentes System, das die Bestimmung der Lösungsmenge ermöglicht.

Gauß-Algorithmus

In der Sprache von Matrizen lässt sich dieses Verfahren einfacher formulieren.

Definition 1.6 (Zeilen-Stufenform)

Eine Matrix ist in Zeilen-Stufenform, wenn die Anzahl der Anfangsnullen von Zeile zu Zeile zunimmt. Sind die Stufenspalten zusätzlich Einheitsvektoren, dann ist die Matrix in reduzierter Zeilen-Stufenform.

Die Einheitsvektoren der n sind die Elemente ei:=(0,...,1,...,0),i=1,...,n, deren Komponenten außer der i-ten jeweils Null sind.

Satz 1.7

Existenz:
Jede Matrix lässt sich durch eine endliche Folge von elementaren Zeilenoperationen in eine (reduzierte) Zeilen-Stufenform überführen (Gauß-Algorithmus).
Eindeutigkeit:
- Die Treppenform aller Zeilen-Stufenformen einer Matrix ist gleich.
- Die reduzierte Zeilen-Stufenform einer Matrix ist eindeutig bestimmt.

Definition 1.8 (Rang, vorläufig)

Der Rang einer Matrix, rg(A), ist die Anzahl der Stufen in einer zugehörigen Zeilen-Stufenform von A.

Hinweis: Analog gibt es elementare Spaltenoperationen und eine (reduzierte) Spalten-Stufenform.

Aussagen über die Lösungsmenge

Bezeichne (A,b):={xn|j=1naijxj=bi,i=1,...,m} die Lösungsmenge des linearen Gleichungssystems mit erweiterter Koeffizientenmatrix (A, b).

Satz 1.9 (Lösbarkeitskriterium)

(A,b)= gdw. rg(A)=rg(A,b).

Satz 1.10 (homogener Fall: b = 0)

(i1) Es gibt stets die triviale Lösung 00(A):=(A,0).
(i2) Die allgemeine und vollständige Lösung hat nrg(A) freie Parameter.
(i3) Seien r und x, x' Lösungen, dann sind x + x' und rx ebenfalls Lösungen.

Satz 1.11 (inhomogener Fall: b0)

(i1) Falls lösbar, hängt die Lösungsmenge von (n-rg(A)) freien reellen Parametern ab,
(i2) (A,b)=c*+0(A), d.h. die Lösungsmenge ist Summe einer speziellen Lösung c* und der Lösungsmenge des zugehörigen homogenen Systems.

Rezept zur Lösung eines linearen Gleichungssystems:

1. Aufstellen der erweiterten Koeffizientenmatrix (A, b).
2. Gauß-Algorithmus: (A, b) in (reduzierte) Zeilen-Stufenform (A,b) überführen.
3. Entscheidung der Lösbarkeit: letzte Spalte ist keine Stufenspalte.
4. Ablesen einer speziellen Lösung c* aus b, indem alle Nicht-Stufenvariablen Null gesetzt werden.
5. Bestimmung der Basislösungen c1,...,cnr,r:=rg(A), des zugehörigen homogenen Systems aus A: setze die Nicht-Stufenvariablen als freie Parameter t1,...,tnr an, die k-te Basislösung erhalten wir durch Substitution tj:=0 für jk und tk:=1.
6. (A,b)={c*+k=1n--rtkck|tk}.

Kommentar: In diesem Kapitel haben wir ein wichtiges Ergebnis der linearen Algebra bereits vorweggenommen. Die sehr effektive Methode des Gauß-Algorithmus wird weitere vielseitige Anwendungsmöglichkeiten finden (in- und außerhalb der Algebra) und einen vorwiegend konstruktiven und algorithmischen Aufbau der linearen Algebra ermöglichen.