Kurs:Analysis I/Kapitel III: Die elementaren Funktionen/§2 Die trigonometrischen Funktionen

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Version vom 2. Februar 2020, 23:49 Uhr von 2a01:c23:7cae:8600:b5df:e087:6696:5d41 (Diskussion) (Satz 2: (19) ist sinus und kein cosinus)
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Definition 1

Für alle z erklären wir die Cosinusfunktion
(1) cosz:=12(eiz+eiz),
sowie die Sinusfunktion
(2) sinz:=12i(eizeiz).

Hilfssatz 1

Für alle x(0,2] gilt sinx>0.

Beweis

Für alle x mit 0<x2 ist die Abschätzung

sinx=m=0(1)m(2m+1)!x2m+1=xx33!+x55!x77!+x99!x1111!+
=x(1x26)+x55!(1x242)+x99!(1x2110)+>0

richtig. Wegen (1x26)>0,(1x242)>0 usw. für x(0,2] sind nämlich alle alle Summanden positiv.

q.e.d.

Hilfssatz 2

Es gilt cos2<13<0.

Beweis

Wir ermitteln

cosx=m=0(1)m(2m)!x2m=1x22!+x44!x66!+x88!x1010!+x1212!+
=(1x22x424)x66!(1x256)x1010!(1x2132)>0

An der Stelle x=2 folgt wegen (12+23)=13,(1114)>0,(1133)>0 usw. die Behauptung cos2<13.

q.e.d.

Hilfssatz 3

Die Gleichung cosx=0 besitzt für x(0,2) genau eine Lösung.

Beweis

Zuerst weisen wir die Existenz einer Lösung ξ(0,2) nach. Es ist cos0=1>0 erfüllt und gemäß Hilfssatz 2 gilt cos2<13<0. Nach dem Zwischenwertsatz von Bolzano-Weierstraß aus §1 in Kapitel II existiert ein ξ(0,2) mit cosξ=0. Wir zeigen jetzt die Eindeutigkeit der Lösung. Gemäß Hilfssatz 2 gilt

ddxcosx=sinx<0, für alle 0<x<2

Somit ist die Cosinusfunktion streng monoton fallend im Intervall [0,2], wie der Mittelwertsatz der Differentialrechnung lehrt. Damit ist ξ die einzige Nullstelle von f(x)=cosx im Intervall (0,2).

Definition 2

Für die gemäß Hilfssatz 3 existierende kleinste positive Nullstelle ξ(0,2) der Cosinusfunktion f(x)=cosx,x>0 setzen wir
π2:=ξ.

Satz 1

Die Funktion f:[π2,π2] vermöge xf(x)=sinx ist im Intervall π2xπ2 streng monoton steigend und wir haben sin(π2)=1 und sin(π2)=1.

Beweis

Mit der Definition 2 ergibt sich

ddxsinx=cosx>0 für alle x[0,π2).

Da die Cosinusfunktion gerade ist, folgt auch für π2<x0 die Ungleichung cosx>0. Also gilt

ddxsinx>0 für alle x(π2,π2)

und somit ist f im Intervall π2xπ2 streng monoton wachsend. Formel (12) liefert

sin2(π2)=1cos2(π2)=1

und zusammen mit Hilfssatz 1 folgt sin(π2)=+1 sowie

sin(π2)=sin(π2)=1.

q.e.d.

Bemerkungen

Für die Exponentialfunktion gilt

(15) exp(iπ2)=cos(π2)+isin(π2)=0+i1=i

und somit folgt

(16) exp(ikπ2)=ik für alle k.

Satz 2

Die Funktionen (1) und (2) sind holomorph und es gilt
(17) ddzcosz=sinz und ddzsinz=cosz für alle z.
Sie sind darstellbar durch die konvergenten Potenzreihen
(18) cosz=m=0(1)m(2m)!z2m,z
und
(19) sinz=m=0(1)m(2m+1)!z2m+1,z.
Sie sind miteinander verknüpft durch die Eulersche Formel (3) und es gilt die Identität
(20) cos2z+sin2z=1,z.
Schließlich geben wir die Gesamtheit der Stammfunktionen an
(21) coszdz=sinz+c1 und sinzdz=cosz+c2,z mit c1,c2.

Beweis

1. Für alle z gilt

(22) ddzcosz=12(eiz+eiz)=12i(eizeiz)=i22i(eizeiz)=sinz.

Analog zeigt man ddzsinz=cosz.

2. Da die komplexe Exponentialfunktion eine konvergente Potenzreihe in darstellt, müssen nach Definition 1 auch die Sinus- und Cosinusfunktion dort durch eine konvergente Potenzreihe gegeben sein. Deren Koeffizienten bestimmen wir mit den Überlegungen in §6 von Kapitel II als Taylor-Koeffizienten ihrer Einschränkung auf die reelle Achse . Eben diese reellen Taylor-Reihen kennen wir schon aus (10) bzw. (11). Also stellen die Reihen (18) und (19), welche nach Satz 14 aus Kapitel I in absolut konvergieren, die entsprechenden trigonometrischen Funktionen dar.

3. Nach Formel (12) gilt die Identität (20) bereits für alle reellen Argumente. Zumal die angegebene Funktion aus (20) in eine konvergente Potenzreihe in entwickelbar ist, liefert der nachfolgende Satz – spezialisiert auf einfache Reihen – die angegebene Identität.

4. Die Stammfunktionen verifizieren wir sofort mit den obigen Differentiationsregeln.

q.e.d.

Satz 3 (Identitätssatz für Doppelreihen)

Es sei in × die absolut konvergente Doppelreihe
(23) f(z1,z2):=k1,k2=0ak1k2z1k1z2k2 für z1=x1+iy1,z2=x2+iy2
mit den Koeffizienten ak1k2 für k1,k2=0,1,2, gegeben. Wenn auf der reellen Ebene f(x1,x2)=0 verschwindet, so folgt die Identität f(z1,z2)0 für alle (z1,z2)×. Stimmen also zwei durch absolut konvergente Doppelreihen dargestellte Funktionen auf der reellen Ebene ×{0}××{0} überein, so ist dieses auch auf der komplexen Ebene × der Fall.

Beweis

Wie in §6 von Kapitel II differenzieren wir die Doppelreihe (23) l10 mal reel nach x1 sowie l20 mal reel nach x2 und erhalten

(24) 0=k1l1,k2l2l1!l2!ak1k2x1k1l1x2k2l2.

Setzen wir dann die Stelle x1=0=x2 ein, so folgt

(25) 0=l1!l2!al1l2 bzw. al1l2=0 für alle Indices l1,l20.

Der Potenzreihendarstellung (23) entnehmen wir schließlich die Behauptung.

q.e.d.

Satz 4

Für alle z1,z2 gelten die Additionstheoreme:
(26) cos(z1+z2)=cosz1cosz2sinz1sinz2 und
(27) sin(z1+z2)=sinz1cosz2cosz1sinz2.
Des Weiteren gelten für alle z folgende Duplikationsformeln:
(28) cos2zsin2z=cos(2z)
(29) 2coszsinz=sin(2z).

Beweis von (26) und (27)

Wegen Satz 3 reicht es aus, die Additionstheoreme nur für reelle Argumente nachzuweisen – zumal die darin erscheinenden Funktionen in absolut konvergente Doppelreihen entwickelbar sind. Mit der Funktionalgleichung der Exponentialfunktion berechnen wir für alle x1,x2:

(30) cos(x1+x2)+isin(x1+x2)=exp(i(x1+x2))=exp(ix1)exp(ix2)
=(cosx1+isinx1)(cosx2+isinx2)
=(cosx1cosx2sinx1sinx2)+i(sinx1cosx2+cosx1sinx2).

Der Vergleich von Real- und Imaginärteil liefert die o. a. Additionstheoreme.

Beweis von (28) und (29)

Wir setzen in (26) z1=z2=z ein und erhalten

cos(2z)=cos(z+z)=cos2zsin2z.

Analog folgt aus (27) die Duplikationsformel (29).

q.e.d.

Bemerkungen

Sehr praktisch zum Integrieren sind die Identitäten

(31) 1+cos(2z)=2cos2z und 1cos(2z)=2sin2z,z,

welche man leicht nachweist.

Satz 5 (Phasenverschiebung)

Für alle z gelten
(32) cos(π2z)=sinz und sin(π2z)=cosz.

Beweis

Mit dem Additionstheorem (27) erhalten wir

sin(π2z)=sin(π2)cos(z)+cos(π2)sin(z)=cosz.

Setzen wir in diese Identität z:=π2w mit w, so folgt

cos(π2w)=sin[π2(π2w)]=sinw.

q.e.d.

Satz 6

Die Funktion g:[0,π] vermöge xg(x)=cosx ist im Intervall 0xπ streng monoton fallend und es gilt cos0=1 und cosπ=1.

Beweis

Nach Satz 5 ist die Identität

cosx=sin(π2x) mit x[0,π]

gültig. Damit können wir alle Aussagen dem obigen Satz 1 entnehmen.

q.e.d.

Hilfssatz 4

Alle Lösungen von der Gleichung expz=1 mit z sind in der Form z=2kπi mit k darstellbar.

Beweis

Der Formel (16) entnehmen wir, dass die angegebenen komplexen Zahlen die Gleichung lösen. Sei nun umgekehrt z=x+iy mit x,y eine Lösung der Gleichung

1=ez=ex+iy=exeiy=ex(cosy+isiny),

so folgt 1=ex|eiy|=ex und damit x=0. Wir ermitteln

1=ex1eiy=eiy=ei(y2kπ=t:=y2kπeit=cost+isint0=cost

und wählen k so, dass |t|π erfüllt ist. Nach Satz 1 folgt aus der Bedingung sint=0 dann t=0 und wir finden y=2kπ bzw. z=2kπi, wie es oben behauptet wurde.

q.e.d.

Satz 7 (Periodizität der Exponentialfunktion)

Die komplexe Exponentialfunktion hat die Periode 2πi. Die Gleichung expw=expz mit w,z ist genau dann erfüllt, falls wz=2kπi mit geeignetem k gültig ist.

Beweis

Seien w,z mit ew=ez, so ist äquivalent ewz=1 erfüllt. Gemäß Hilfssatz 4 bedeutet dieses wz=2kπi mit geeignetem k.

q.e.d.

Satz 8

Die Komplexen trigonometrischen Funktionen cosz und sinz haben die Periode 2π. Alle komplexen Nullstellen von cosz sind durch (k+12)π und von sinz durch kπ mit k gegeben.

Beweis

Für alle z und k gilt nach Hilfssatz 4 für die Cosinusfunktion

(33) cos(z+2kπ)=12(ei(z+2kπ)+ei(z+2kπ))=12(eiz+eiz)=cosz.

Wir berechnen jetzt alle Nullstellen der Cosinusfunktion. Für alle z gilt

(34) 0=cosz=12(eiz+eiz)0=e2iz+1
e2iz=1=eiπ
e(2zπ)i=1(2zπ)i=2kπik
z=π2(2k+1)k.

Die angegebenen Eigenschaften der Sinusfunktion ergeben sich aus der Phasenverschiebung gegenüber der Cosinusfunktion.

q.e.d.

Definition 3

Für alle z{w:w(k+12)πk} erklären wir die Tangensfunktion
(35) tanz:=sinzcosz
und für alle z{w:wkπk} erklären wir die Cotangensfunktion
(36) cotz:=coszsinz.

Satz 9

Die Funktionen aus Definition 3 sind holomorph in ihren Definitionsbereichen und es gilt
(37) ddztanz=1cos2z=1+tan2z für z und z(k+12)π (k),
(38) ddzcotz=1sin2z=(1+cot2z) für z und zkπ (k).

Beweis

Die komplexen trigonometrischen Funktionen (35) und (36) sind holomorph, da sie als Quotient holomorpher Funktionen definiert sind. Für alle z und z(2k+1)π2 mit k gilt

ddztanz=ddz(sinzcosz)=cos2zsinz(sinz)cos2z=1cos2z=1+tan2z.

Für alle z und z(2k+1)π2 mit k berechnen wir

ddzcotz=ddz(coszsinz)=(sinz)sinzcos2zcos2z=1sin2z=(1+cot2z).

Satz 10 (Additionstheorem für tan und cot)

Für alle z1,z2,z1+z2{w:w(k+12)πk} gilt
(39) tan(z1+z2):=tanz1+tanz21tanz1tanz2.
Für alle z1,z2,z1+z2{w:wkπk} gilt
(40) cot(z1+z2):=1+cotz1cotz2cotz1+cotz2.

Beweis

Für alle z1,z2,z1+z2{w:w(k+12)πk} gilt

(41) tan(z1+z2)=sin(z1+z2)cos(z1+z2)=sinz1cosz2+cosz1sinz2cosz1cosz2sinz1sinz2
=sinz1cosz1+sinz2cosz21sinz1cosz1sinz2cosz2=tanz1+tanz21tanz1tanz2.

Analog beweisen wir (40).

q.e.d.

Satz 11

Für alle z mit zkπ(k) haben wir
(42) 1tanz=cotz=tan(π2z).

Beweis

Mit Hilfe von Satz 5 berechnen wir

1tanz=cotz=coszsinz=sin(π2z)cos(π2z)=tan(π2z).

q.e.d.

Wir wollen schließlich die reelle Tangens- und Cotangensfunktion untersuchen.

Satz 12

Die Funktion f:(π2,π2) vermöge xf(x)=tanx ist im Intervall π2<x<π2 streng monoton steigend. Diese Funktion ist ungerade, erfüllt tan0=0 und besitzt folgendes asymptotische Verhalten:
(43) limxπ2,x>π2tanx= und limxπ2,x<π2tanx=+.

Beweis

Wegen (37) gilt

f(y)=1cos2y>0 sowie tan(y)=tan(y),y(π2,π2).

Somit ist diese Funktion im Definitionsbereich streng monoton steigend und ungerade mit der Eigenschaft

tan0=sin0cos0=0.

Wir ermitteln nun ihr asymptotisches Verhalten

limxπ2,x<π2tanx=limxπ2,x<π2sinxcosx=+.

q.e.d.

Satz 13

Die Funktion g:(0,π) vermöge xg(x)=cotx ist im Intervall 0<x<π streng monoton fallend und es gilt
limx0,x>0cotx=+,cot(π2)=0,limxπ,x<πcotx=.

Beweis

Wir beachten g(x)=cotx=tan(π2x) für alle 0<x<π und Satz 12 liefert die angegebenen Eigenschaften.

q.e.d.

Satz 14

Die Gesamtheit der reellen Stammfunktionen ist gegeben durch
(44) cotxdx=sinxsinxdx=(lnsin)xdx=ln(sinx)+c2,x(0,+π)
und
(45) tanxdx=cosxcosxdx=ln(cosx)+c1,x(π2,+π2)
mit den reellen Integrationskonstanten c1,c2.